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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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mir in unseren ersten Übungsstunden mehr als klar, dass ich noch eine Menge zu lernen hatte, dass ich meine Kräfte noch kaum im Zaum halten konnte, dass ich bei meinem Ausbruch weit mehr Glück als Verstand gehabt hatte. Sie war ungehalten über meine fehlende Konzentration. Ich erzählte ihr von dem Brief, den Clarissa an mich verfasst hatte. Ranja hatte kein gutes Verhältnis zu meiner Mutter gehabt. Sie hatten sich vom ersten Tag an gehasst. Ranja hatte sie durchschaut und auch allen Grund zu den negativen Gefühlen in Bezug auf Clarissa. Trotzdem sprach sie ruhig und sachlich und ohne Groll von ihr. Es berührte sie, als ich ihr gestand, dass Clarissa mir geraten hatte, Ranja zu vertrauen.
    „Da sieht man mal. Ich hatte sie von Anfang an durchschaut und trotzdem habe ich sie unterschätzt. Du kannst stolz sein auf deine Mutter.“
    Oh ja, das war ich. Ich gestand Ranja meine schwere Sorge, dass ich meinen Hass gegenüber Gregor und Jerome nie überwinden würde, dass ich es immer noch kein bisschen bereute, Gregors Unternehmen zerstört zu haben und mich deshalb nicht als würdig empfand, in den Rat einzutreten, weil ich mir nicht vorstellen konnte, jemals so beherrscht und weise wie Ranja zu werden. Ranja lachte einfach nur lauthals und herzlich los. Darum solle ich mir nun wirklich keine Sorgen machen, ich hätte noch so viel Zeit, „weise“ zu werden. Außerdem fand sie sich nicht viel weiser. Sie gestand mir, dass sie einmal in Jerome verliebt gewesen war, kurz bevor Josepha an die Schule kam. Jerome hatte Ranja wegen Josepha sitzen gelassen und danach sogar seinen Seelenort an einen anderen Platz verlegt. Mir fiel sein Zögern ein, als ich ihn gefragt hatte, ob jemand aus dem Rat seinen Seelenort kannte. Ranja war es also und sie wusste nicht, ob sie ihm diesen Verrat je vollkommen verzeihen konnte beziehungsweise sich selbst je verzeihen würde, dass sie einmal so einen Verräter geliebt hatte.
    „Aber was soll‘s, schließlich sind wir nur magisch begabt und keine Götter!“
    Ranja holte ihren kleinen Besen hervor und zeigte mir damit ein paar feurige Kunststückchen. Wir alberten den Rest des Nachmittags herum. Ranja verstand es, mich aufzuheitern. So leicht und unbeschwert hatte ich mich ewig nicht mehr gefühlt.
     
    Es war schon fast dunkel, als ich mich auf den Weg nach Hause machte. Ich spazierte die gewundenen Wege lang. Der glitzernde Sternenhimmel und die Ruhe, in der sich lautlos die leuchtenden Blüten bewegten, tauchten alles in eine herrlich friedliche Atmosphäre. Wie gern wäre ich jetzt noch ins Akademie-Café gegangen. Ich wollte meine Studienkollegen wiedersehen, Marie, Fabian, Cynthia, Dave, Jonas und auch Kay, endlich ein ganz normales Studentenleben führen. Aber ich fürchtete, Leo zu treffen. Ich fühlte mich noch nicht bereit dazu. Also entschied ich mich, mir Zuhause einen großen warmen Pflaumensaft zu machen und freute mich darauf. Ich lief einen kleinen Umweg, um nicht zu nah an Leos Haus vorbei zu kommen. Klar, irgendwann würden Leo und ich nicht umhin kommen, miteinander zu sprechen. Aber ich wollte es vermeiden, solange es erst mal ging. Ich wusste nicht genau, warum. War ich zu wütend auf ihn? Zu enttäuscht? Zu stolz, weil er mich aus reiner Berechnung umworben hatte und ich fast darauf reingefallen wäre? Weil ich darauf reingefallen war? Weil ich mich noch nicht wieder stark genug fühlte, mein Gesicht zu wahren? Oder hatte ich Angst, ich würde noch etwas von seiner Anziehung spüren? Trotz allem? Dass irgendwas in mir doch nicht so stark war, wie ich gerne wollte? Dass irgendwas in mir Tim aufgegeben hatte? Ich schüttelte die Gedanken ab. Besonders, weil sie mich unweigerlich zu Tim führten. Ich hatte mir geschworen, an jeden kleinen nächsten Schritt zu denken, an das Hier und Jetzt und nicht dauernd an Tim, weil das sofort ein Gefühl von Lähmung und Ohnmacht verursachte. Ich fühlte den Schlüssel in der Tasche meines Kapuzenshirts. Es war der Schlüssel zu meinem eigenen Häuschen, was ich selbst wieder in Ordnung gebracht hatte, das mit den sonnengelben Wänden, nicht das, was Leo gestaltet hatte. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, die Wahl von Leos Haus überhaupt in Betracht gezogen zu haben. Als wenn ich zu der Zeit ein anderer Mensch gewesen war. Dabei war es erst zwei Wochen her. Mein Leben kam mir vor wie eine Aneinanderreihung von mehreren Leben im Zeitraffer. Ich hätte gern den Ausblick aus meinem Fenster bei Neve geändert, das Haus von

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