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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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höflicher, aber es hatte sich in der Tat auf das heftigste erschrocken, und dadurch verliert man leicht den Sinn für liebenswürdiges Entgegenkommen.

    Hassan entschuldigte sich; aber nun meinte das Eichhorn erst recht, ihm sei Unrecht geschehen.
    Es saß da, im Gras, daß es ein Entzücken war, Hassan fühlte sich wirklich neben diesem zierlichen Tier wie ein schwerfälliger Eindringling, er hätte es am liebsten in die Arme geschlossen, so lieblich war der Anblick, das feine Köpfchen mit den spitzen Ohren, die dunklen klugen Augen und der breite buschige Schwanz, der den eleganten Körper in einem Bogen überragte und von einer leuchtenden rotbraunen Farbe war, wie das Buchenlaub im Herbst.
    »Nehmen Sie es nicht übel,« sagte er noch einmal, »ich habe Sie nicht erschrecken wollen – aber wie Sie meinen.«
    Das Eichhorn merkte, daß es dem Igel gefiel, und wurde deshalb etwas freundlicher. Nun darf man aber nach diesem Vorfall nicht etwa annehmen, daß ein Igel ein dummes oder ungeschicktes Tier sei. Ganz im Gegenteil ist er ein ungewöhnlich kluges Tier und in keiner Weise so tölpelhaft, wie er auf den ersten Blick erscheinen kann. Natürlich, wenn man ein Eichhörnchen ist, versteht man unter Geschicklichkeit etwas ganz anderes als ein Igel.
    »Ich habe mich heute morgen ohnehin verschlafen«, sagte das Eichhorn und musterte den Fremden. »Was wollen Sie denn hier?«
    »Ich möchte fragen, ob man gut tut, sich hier anzusiedeln.«
    Das Eichhorn schaute interessiert auf. »So, darauf will man hinaus! Nun, ich heiße Li und habe darüber zu entscheiden.«
    Hassan schaute aus seinen Stacheln hervor und dachte nach. Er sagte sich plötzlich, daß er eigentlich niemand zu fragen brauchte, wenn er bleiben wollte, denn wenn Li das mächtigste Tier der Wiese war, so gab es niemand, der ihn wegschaffen konnte, wenn er nicht geneigt war. Er blinzelte listig und lachte vor sich hin.
    »Nun, ich denke, Sie erlauben es«, meinte er, rollte sich plötzlich zusammen, so daß er wie eine große dunkelbraune Kugel aussah, und seine Stacheln sträubten sich und klirrten leise.
    »O, pfui Teufel«, rief das Eichhorn und machte einen kleinen Satz. »Nun sieh einer dies Stachelschwein!«
    Hassan schielte nur über die Spitze seiner schwarzen Nase aus seinem gewölbten Stachelberg hervor, es sah ungemein originell aus, weil niemand, der noch keinen Igel erblickt hatte, dort unten eine Nase vermutet hätte. Aber so war ihm nicht beizukommen. Li ärgerte sich.
    »Können Sie etwa senkrecht an einem Baumstamm in die Höhe laufen?« fragte es.
    »Nein«, sagte Hassan betroffen und wurde wieder etwas länglicher.
    Li lachte. »Das hab’ ich mir gleich gedacht, Sie ...«
    »Dann versuchen Sie gefälligst einmal jemanden zu stechen, der Ihnen mit der Hand über den Rücken fährt«, gab Hassan verdrießlich zurück, denn er merkte nun, daß das Eichhorn ihn verspotten wollte.
    »Warum denn,« fragte Li, »weshalb soll ich denn jemanden ohne allen Grund stechen? Wer tut denn das? Stachelschweine tun das!«
    »Ich bitte mir jetzt endlich Respekt aus!« rief Hassan.
    »Was sollte mich denn dazu veranlassen, Sie zu respektieren? Sie können nicht klettern, stechen jeden, der Sie anfaßt und haben nicht einmal einen Schwanz. Sehen Sie den meinen an!«
    Li drehte sich ein wenig im Gras und sah sich nach Hassan um, der nicht ohne Erstaunen und Neid auf den prächtigen buschigen Schwanz des Eichhörnchens schaute. Es war in der Tat eine Pracht.
    »Jeder hat eben etwas anderes«, sagte er verstimmt.
    »Ganz recht, mein Lieber, und ich habe etwas Besseres.«
    Mit diesem Tier war nicht auszukommen, Hassan sah es ein. Wenn das die Folge seiner Ansiedlung sein sollte, daß er sich täglich über dies eingebildete Geschöpf zu ärgern hätte, so stand für ihn fest, daß er nicht blieb. Es fiel ihm auch gar nichts mehr ein, was er zu seinem Vorteil hätte sagen können. Als er nachdachte, erklang hinter ihm ein kaum hörbares Rascheln und gleich darauf ein scharfes Zischen. Das Eichhorn flog herum, als ob es sich zu einem wilden Tanz anschickte, versuchte einen Satz zu machen, um davonzukommen, blieb aber zitternd und völlig willenlos an seinem Platz hocken, und ein schmerzliches und unbeschreiblich angstvolles Wimmern brach aus seinem Mund.
    »Ala, die Kreuzotter«, stammelte das arme Tier. Seine Augen verdrehten sich, es begann einen sonderbaren schaukelnden Verzweiflungstanz mit dem Oberkörper, kam aber nicht vom Fleck, und jedes Tröpfchen

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