Himmelsvolk
ändern. Ich bin ein rechter Tor, dachte er, daß ich vergessen habe, wer ich bin und was ich kann, nur weil ein Eichhorn senkrecht an einem Baumstamm hinauflaufen kann und ich nicht. Ich werde nicht mehr um Unterkunft bei Fremden bitten. Ich bin ein Igel, nicht mehr und nicht weniger, das will ich sein.
Achtes Kapitel
Die Winde
Wo am Waldrand am Stamm einer Föhre das dunkle Moos zwischen knorrigen Wurzeln wuchs, rankte die Winde sich empor. Ihre jungen Ranken tasteten sich an der braunen Borke hoch und waren von zartestem Hellgrün und so empfindlich, wie die Glieder eines neugebornen Kindes, das seine Hände liebebedürftig gegen das Angesicht der Mutter emporhebt. Ihre durchscheinenden Blätter sahen gegen den braunen Föhrenstamm licht und leicht aus, als wäre ein helles Ornament von der Hand eines Malers auf dunklen Grund gezeichnet worden, aber ihre Sinne waren wach und wohlbestellt, so daß sie ihren Weg zum Licht empor vertrauensvoll und glücklich suchte.
Ein großes Farnblatt und ein Trieb der wilden Rose, die dicht neben ihr emporgewachsen waren, hatten ihr hilfreich zur Seite gestanden, als ihre ersten Ranken, noch blind von der Erinnerung an die dunkle Erde, sich Halt suchten. Tastend, bewegt vom Frühlingswind, und von der Sonne geführt, war sie langsam höher geklommen, den Waldgefährten dankbar und die erwachende Seele voll Hoffnung. Nun war ihre Stunde gekommen, und am Abend vor ihrem Erblühen flüsterte sie im Wind der Dämmerung den Pflanzen zu:
»Morgen werde ich meine Augen öffnen, morgen zieht der Himmel in meine Seele ein.«
Ihre hellblaue Knospe, die kaum noch vom grünen Kelch geborgen war, zitterte im Lufthauch und empfand die kühle Nacht, die auf den Wald, ihre Heimat, niedersank, aber das Licht und die Wärme des vergangenen Tages fluteten durch ihren Traum, und noch als sie schon schlief unter dem Tau, war ihr, als wachte ihr Herz.
Sie träumte vom unsichtbaren Wind, von den Stimmen der Bäume und dem Summen der Insekten, dessen ferne Lebensmelodie sie mit unbeschreiblichen Ahnungen von künftiger Seligkeit durchschauert hatten. Sie vernahm in der tiefen Erinnerung ihres Schlafs wieder die frohen Rufe um sich her, die sie auf ihrer Lebenswanderschaft von den schon Erwachten im Licht vernommen hatte. Wie wird mir sein, wenn ich erblühe, dachte sie, wenn meine Blume den Himmel empfängt. »Den Himmel!« flüsterte sie im Traum. Was hatten ihre Sinne nicht von den Beglückten um sich her vernommen und erlauscht, wie ein einziger goldener Jubel empfing sie die Ahnung dessen, das ihr am Morgen geschehen sollte. »Dies sind die Vögel in den Zweigen«, hatten die wilden Rosen ihr gesagt, »ihr Lied fällt aus den Strahlen der Morgensonne, so kühl wie Tau, liebreich wie der Wind und holdselig wie der Sinn der Freude. Sie werden am strahlenden Tag deines Erwachens singen, ihre Lieder, die Farben der Welt, die lebendige Glut der himmlischen Sonne, und die Seligkeit aller Atmenden werden wie ein einziger Rausch unfaßbaren Entzückens auf dich einsinken, wenn du erblühst. Du selbst wirst schön sein unter den Schönen, du wirst beseligen wie du beseligt bist, und alle, die dich erblicken, werden dich segnen, wie du ihnen dankst. Keine Sorgen sollen deinen Wohlstand stören, alles, dessen du bedarfst, wird zur Stunde zu dir kommen, deine Freude soll vollkommen sein. Wenn dein Kelch sich am Abend nach vollbrachtem Tag neigt, wirst du in gnädigem Dunkel mit den Schlafenden ruhen, müde vor Glück, und ein neuer Tag wird dir kommen.«
Die Knospe erwachte schon früh vor Tag aus ihrem Traum, und erzitternd im Morgengrau fürchtete sie sich vor der Allmacht dessen, was ihr geschehen sollte. Es war unfaßlich still in der kaum vom Licht berührten Welt, nichts regte sich, alle Vögel schliefen noch, und der Tau war noch nicht gefallen. Sie empfand, daß der Himmel langsam, langsam heller wurde. Die Zweige des Baums über ihr zeichneten sich dunkel gegen die totenstille Höhe ab, und man erkannte noch keine Farben, nicht grün, nicht braun, alles war wie in silbergraue Schleier gehüllt.
»Heute, heute werde ich aufbrechen,« dachte die kleine Knospe, »goldener Tag, komm bald!«
Da erscholl über ihr ein zaghaftes, klares Trillern und verstummte. Aus der Waldferne antwortete ein silberner Schlag. Sie erzitterte unter einem Tropfen, der sich auf ihrem geneigten Blumenkelch bildete, der noch geschlossen war, und nun nahm ein kaum spürbarer Wind sich ihrer an, lindernd, tröstend und
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