Himmlisch verliebt
zurück.
Sie würde einen Menschen beschützen. Sie würde für ihn da sein, ihm helfen, immer für ihn eintreten.
Dieses Gefühl war so überwältigend, dass sie beinahe geweint hätte.
Seraphin berührte sie an der Schulter.
„Steh auf, Lilith!“, sagte er leise.
Erschrocken öffnete Lilith die Augen und sah sich um. Josua, Nariel und Meliha standen längst. Verwirrt erhob sich auch Lilith. Seraphin lächelte ihr zu.
„Eins muss ich euch noch sagen“, fuhr er fort. „Ihr werdet euren Schützling nicht um jeden Preis behüten können. Seid für ihn da, macht ihm Angebote, aber wenn er nicht auf euch hören will, müsst ihr ihn lassen. Macht euch dann auch keine Vorwürfe, wenn ihr ihn nicht retten könnt.“
„O nein!“, dachte Lilith unglücklich. „Hoffentlich bekomme ich kein trotziges kleines Kind, das ich beschützen muss.“
„Wir haben natürlich eine leichtere Aufgabe für euch ausgewählt“, lächelte Seraphin und sah Lilith dabei an. Er spürte ihre Sorgen. „Aber wenn es trotzdem zu schwierig für euch wird, werdet ihr auf eure Stufe zurückgeholt und ihr bekommt mehr Zeit zu reifen.“
Lilith senkte den Kopf. „Ich will es auf jeden Fall schaffen“, dachte sie.
Lilith wartete am Fuße des großen Berges auf Seraphin. Er wollte sie noch einmal allein sprechen. Diesmal tauchte er nicht als Lichtgestalt plötzlich neben ihr auf, er kam den langen steinigen Weg entlang. Direkt auf sie zu. Jetzt wirkte er richtig menschlich. Wie ein väterlicher Freund.
„Lilith“, sagte er lächelnd. „Wie jung du aussiehst.“
Lilith bekam es mit der Angst zu tun. Zweifelte er an der Rolle, die er für sie vorgesehen hatte? „Ich werde es schaffen“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich werde der Person zur Seite stehen und sie beschützen.“
Seraphin lächelte immer noch. „Ich weiß doch“, sagte er und zeigte auf einen großen Stein. „Setz dich mal.“
Lilith zögerte. Dann setzte sie sich. Seraphin nahm neben ihr Platz.
„Du musst nicht denken, dass ich an dir zweifele“, erklärte er ihr. „Du bist ganz besonders einfühlsam. Das Problem ist nur, dass diese Person, um die du dich kümmern sollst, nicht sehr gefühlvoll ist. Ein schwieriger Junge. Er lebt in einer eigenen Welt und lässt sich von niemandem etwas sagen. Nicht mal von seiner Mutter.“
„Ist er krank?“, wollte Lilith wissen.
Seraphin schüttelte den Kopf. „So kann man es nicht nennen. Er ist eben einfach abgetaucht.“
„Wie meinst du das?“, wollte Lilith wissen.
Seraphin stand auf. „Bist du bereit, ihn kennenzulernen?“
„Jetzt?“ Lilith war ein bisschen erschrocken. Das ging auf einmal alles viel zu schnell. Sie atmete tief durch. „In Ordnung“, sagte sie dann. „Ich bin bereit.“
Lilith erhob sich, aber im selben Moment war Seraphin neben ihr verschwunden. Und dann tauchte auch sie weg, um sich Sekunden später an einer Straße wiederzufinden. Genau genommen stand sie mitten auf der Straße. Und jetzt kam auch schon ein großer roter Bus direkt auf sie zugefahren. Der Fahrer bremste nicht. Er sah auch nicht erschrocken aus. Im Gegenteil. Ganz ruhig und gelassen hielt er genau auf sie zu und lächelte dabei.
Lilith schrie. Sprang im letzten Moment auf den Bürgersteig.
Da stand Seraphin und grinste. „Schon vergessen, dass du unsichtbar bist“, fragte er.
„Unsichtbar und unverletzlich“, nickte Lilith. Dann seufzte sie. „Ich war zu lange weg aus dieser Welt. Ich kenne mich gar nicht mehr aus.“
„Immerhin weißt du noch, dass das große rote Teil ein Bus ist, der dich überfahren kann“, spottete Seraphin.
„Ich glaube, das steckt einem immer in den Knochen“, stimmte Lilith zu.
„Gut. Das war die erste Lektion“, fasste Seraphin zusammen. „Du bist unsichtbar. Und du musst es auch bleiben. Glaub mir, Lilith, es gibt irgendwann Momente, da möchte man sichtbar sein. Da will man in das Geschehen eingreifen. Man möchte seinem Schützling einen Ratschlag geben. Man möchte zu ihm Kontakt aufnehmen. Er wird einem ein guter Freund, ein Weggefährte. Vielleicht verliebt man sich sogar in ihn. Aber das darf man nicht.“
„Klar“, winkte Lilith ab.
„Du bist ein Geistwesen. Daran darf sich nichts ändern.“
„Ich weiß!“ Lilith wurde es unheimlich. Wieso war Seraphin so hartnäckig? War doch klar, dass sie sich nicht in das Leben ihres Schützlings einmischen durfte. Aber sie spürte zum ersten Mal eine leichte Unsicherheit. Wenn es so war, wie Seraphin sagte,
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