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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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10000 berichteten. Danach wurde er, soweit Caterina das feststellen
konnte, nur noch in einer Leibniz-Biographie erwähnt, wo es hieß, er sei in
sein Heimatland zurückgekehrt und Erzdiakon von Mantua geworden, wo er 1695
gestorben sei, sowie in den Rechnungsbüchern des hannoverschen Hofs, wo die
Pension vermerkt war, welche die »Mätresse des Abbé Montalbano« während
siebenundvierzig Jahren nach seinem Tod bezog. Von den vielen Talern, wenn man
auch nicht genau wusste, wie viele es waren, fehlte jede Spur.
    Sie wechselte in eine andere Datei und fand die Worte der Gräfin von
Platen: »…profitiert hat der Abbé von dem tödlichen Stoß, der ihn zu seinem
Schöpfer schickte… Hat er nicht wie Judas das Verbrechen möglich gemacht und
davon profitiert? Von dem Blutgeld, das er erhalten hat, konnte er die
himmlischen Juwelen erwerben, aber nichts kann ihm Männlichkeit, Ehre und
Schönheit erkaufen.«
    »Das Pronomen, du dumme Gans«, schalt sie sich. Wenn mit »er« nicht
Abbé Steffani, sondern Abbé Montalbano gemeint war, stand Steffani plötzlich
ganz anders da. Dann war er kein potentieller Mörder mehr; dann hatte er sich
an keinem Mordkomplott beteiligt, um für sich selbst oder seine Kirche Kapital
daraus zu schlagen: Dann war er einzig ein großartiger Komponist und ein Mann,
der die Interessen seiner Kirche und seiner Familie vertrat. »Nichts kann ihm
Männlichkeit erkaufen…« Wenn dies nicht auf Steffani [273]  gemünzt war, so bezog
sich die Schreiberin mit dem Wort »Männlichkeit« nicht auf das männliche
Körperteil, sondern auf all die männlichen Tugenden, die jemandem wie
Montalbano abgingen.
    Die »himmlischen Juwelen« jedoch blieben ihr ein Rätsel. Was hatte
Montalbano von seinem Blutgeld gekauft, und was war nach seinem Tod daraus
geworden?
    Ihr Hunger machte sich bemerkbar, sie ließ diese Grübeleien besser
sein und machte sich etwas zu essen. Sie zerkleinerte einige Zucchini und briet
sie an, fügte kleingeschnittene Tomaten dazu und ließ die Mischung köcheln.
Plötzlich brach die Erkenntnis über sie herein, dass sie in all der Zeit das Naheliegende
versäumt und sich Steffanis Musik noch gar nicht angehört hatte. Sie hatte
Noten gelesen, leise vor sich hin gesungen, ein bisschen gesummt. Aber richtig
hineingehört hatte sie sich eigentlich noch nicht. Sie ging zum Computer, gab
bei Youtube seinen Namen ein und wählte Niobe aus,
das Werk, das ihr am vertrautesten war.
    Sie stellte die Herdflamme kleiner und warf einen Blick aus dem
Wohnzimmerfenster: Familie Bär saß beim Abendessen. Caterina machte das Licht
aus, trat, um nicht gesehen zu werden, vom Fenster weg und betrachtete sie.
Niobe war Mutter von vierzehn Kindern, und ihre Prahlerei mit deren
Vollkommenheiten erzürnte die Götter so sehr, dass alle Kinder getötet wurden.
Familie Bär hatte nur zwei, und beide saßen friedlich mit ihnen am Tisch.
    Papa Bär öffnete die Weinflasche und schenkte seiner Frau und dann
sich selbst ein Glas ein. Caterina hielt das für eine ausgezeichnete Idee; sie
nahm den Ribolla Gialla aus dem Kühlschrank und füllte ein Glas. Die Arie, die
aus dem [274]  Computer kam, schien die Klage des Königs Amphion, des Vaters der
ermordeten Kinder, zu sein, gesungen von einem Countertenor, dessen Stimme sie
nicht erkannte.
    Auf der anderen Seite der calle drehte
sich Papa Bär zu seinem Sohn um und strich ihm übers Haar, ließ die Hand kurz
im Nacken des Jungen ruhen und griff dann wieder nach seiner Gabel. Der Sänger,
sparsam begleitet von Laute und Viola, beschwor seine Zukunft aus »pianti, dolor, e tormenti«. Lag Papa Bär jemals wach und
sorgte sich um die Sicherheit seiner Kinder, so wie ihre eigenen Eltern es
getan hatten? Lauerte »il mio dolor« für ihn hinter
jeder Straßenecke? Ihr Vater war Lehrer, Amphion war König – und Papa Bär? Wie
verdiente er den Honig für Frau und Kinder? Spielte es eine Rolle? Trauer war
der große Gleichmacher.
    Der Rhythmus wechselte, und Amphion rief seine Soldaten zu den
Waffen. Wie auf Kommando, als hörten die Bärs die Musik, hieb der Sohn seine
Gabel ins Essen, sah triumphierend seinen Vater an, schwenkte die aufgespießten
Nudeln durch die Luft und schob sie sich, pünktlich zum Schlachtruf des Königs,
in den Mund. Caterina lachte laut auf und trank noch einen Schluck Wein.
    Die Tochter schoss einen Blick in seine Richtung, wie die kleinen
Mädchen es tun, wenn ihr großer Bruder alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht.
Wo blieb die

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