Himmlische Juwelen
und mit Lotti, einem Venezianer, der so gut wie jeden
unterrichtet hatte. Bald schon begann sie Parallelen zwischen dem Schicksal der
Musiker und ihrem eigenen zu erkennen. Sie alle hatte es auf der Suche nach
Arbeit und Ruhm, die sie in Italien nicht hatten finden können, in den Norden
verschlagen. Wie etliche von ihnen hatte auch [10] Caterina Arbeit gefunden, und
wie die meisten von ihnen litt sie an Heimweh und sehnte sich nach der
Schönheit, der Luft und Leichtigkeit jenes Landes, das sie, wie sie erst jetzt
erkannte, über alles liebte.
Die Rettung brachte, wie so oft, der Zufall. Die Gattin des Dekans
ihrer Fakultät gab jährlich im Frühling ein Essen für die Mitarbeiter ihres
Mannes. Ihr Chef betonte jedes Mal, dass zur Teilnahme kein Zwang bestehe:
Kommen Sie, wenn Sie Zeit haben. Dienstältere wussten freilich, dass die
Einladung einem Dekret von Iwan dem Schrecklichen gleichkam. Wer ihr nicht
folgte, konnte jegliche Hoffnung auf Beförderung begraben; und wer sie annahm,
verbrachte einen Abend in lähmender Langeweile. Heftige Wortwechsel, wüste
Beschimpfungen oder gar Handgreiflichkeiten hätten für Abwechslung gesorgt,
stattdessen war die Konversation bei Tisch von Zurückhaltung und einer
schmallippigen Höflichkeit geprägt, die allerdings jahrzehntelanges sich
Beäugen, Belauern und Karriereneid kaum zu übertünchen vermochte.
Caterina wusste, dass ihr Schmeicheln nicht lag, und beobachtete
daher lieber schweigend das Treiben. Die meisten am Tisch sahen aus, als trügen
sie die ungewaschene Kleidung breitschultrigerer Freunde. Dazu schäbige Schuhe.
Und erst das Essen. Italienischen Kollegen gegenüber hatte sie schon manchmal
gelästert, doch beim Thema Essen verschlug es ihr die Sprache.
Ihre Rettung war ein rumänischer Musikwissenschaftler, der, soweit
Caterina das beurteilen konnte, die letzten drei Jahre vom Alkohol benebelt
verbracht hatte. Dass er von morgens bis abends trank, hinderte ihn nicht
daran, ihr auf [11] den Korridoren oder in der Bibliothek freundlich zuzulächeln,
was sie jedes Mal gern erwiderte. Während seiner Vorlesungen war er erstaunlich
nüchtern und überaus geistreich: Seine Interpretation der Metaphern in den
Libretti von Metastasio war bahnbrechend, und seinen Darlegungen zur
Korrespondenz des Wiener Hofpoeten Apostolo Zeno über die Gründung der Accademia
degli Animosi folgten die Studenten mit offenen Mündern. Oft trug er schicke
Kaschmirjacketts.
Am Abend ihrer Rettung saß der Rumäne ihr weinselig grinsend
gegenüber beim Dinner des Dekans, und sie lächelte bereitwillig zurück, allein
schon, weil sie sich fließend auf Italienisch verständigen konnten. Die meisten
anderen am Tisch kannten Italienisch nur aus Opernlibretti, weshalb sie zu
Liebessschwüren neigten, zu Schrecken und Reue, zuweilen gar dem Blutdurst verfielen.
Caterina unterhielt sich mit ihnen lieber auf Englisch. Während sie die
Anwesenden musterte, wurde ihr bewusst, wie treffend eine Wendung wie »Io muoio, io manco« ihre Gefühle in Worte fasste. »Traditore infame« wäre keine abwegige Bezeichnung für manche
ihrer Kollegen. Und war nicht der Vorsitzende selbst »un vil
scellerato« ?
Der Rumäne stellte sein Glas ab – die Gabel erübrigte sich, da er
sich mit fester Nahrung nicht aufhielt – und brach sein Schweigen, indem er auf
Italienisch fragte: »Möchten Sie von hier weg?«
Caterina sah ihn neugierig an und fragte zurück: »Von diesem Essen
oder der Universität?«
Er griff lächelnd zum Glas und sah sich nach einer weiteren Flasche
um. »Der Universität«, sagte er klar und deutlich.
[12] »Ja.« Von ihrem Geständnis selbst überrumpelt, umklammerte sie
ihr Glas.
»Ein Freund hat mir erzählt, die Fondazione Musicale Italo-Tedesca
sucht jemanden vom Fach.« Er prostete ihr zu. Sein Lächeln war ein angenehmer
Anblick, seine Zähne weniger.
»Die Fondazione Musicale Italo-Tedesca«, wiederholte sie. Zu Hause
gab es so etwas Ähnliches. Irgendwelche Dilettanten, Amateure. Er musste eine
Einrichtung in der deutschsprachigen Welt meinen.
»Die ist Ihnen bekannt?«
»Ich habe davon gehört«, log sie in demselben Tonfall, in dem sie
auf die Frage antworten würde, ob sie von der Wanzenplage in New Yorker Hotels
wusste.
Er trank sein Glas aus, hielt es sinnend hoch und fauchte zu ihrer
Überraschung: »Italien.« Was war aus Italien? Das Glas? Oder der Wein?
»Geld«, fügte er in verführerischem Ton hinzu. »Eine Menge.« Ihm
entging nicht, wie wenig
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