Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
wissen
musste, was sie angerichtet hatte.
    Sergio legte die Erdnüsse auf die Serviette neben seinem Glas. »Er
hat seinen Stuhl so weit zurückgeschoben, bis er an die Wand stieß, und
versucht aufzustehen«, sagte er und stupste mit dem Zeigefinger die Erdnüsse
auf eine Linie. Offenbar musste er, während er sprach, etwas anderes ansehen
als Caterina.
    »Aber er kam nicht hoch, hat schrecklich gezittert und seinen Kopf
zwischen die Knie gesteckt.« Sergio reihte noch ein paar Erdnüsse auf.
    »Nur sein Hinterkopf war zu sehen, während er mich anflehte: ›Bitte,
tun Sie mir nichts. Mein Vater hat mich geschickt. Ich habe ihr nichts getan.
Ich habe sie nicht mal angesprochen.‹« Sergio sah sie fragend an.
    Caterina bestätigte das mit einem Nicken. Er hatte ihr nichts getan.
Er hatte sie nicht angesprochen. Er war ihr nachgegangen und hatte ihr Angst
eingejagt, aber er hatte sie nicht einmal berührt.
    »Was hat er dir denn angetan? Was hat er gesagt?«, fragte Sergio.
    Sie schüttelte den Kopf. »Er hat mich erschreckt«, sagte [266]  sie, und
als sie merkte, wie wenig überzeugend das klang: »Er hat mich in Panik
versetzt.«
    Sergio fuhr leiser fort: »Er fing zu weinen an. Nicht wie im Film,
wo man sieht, dass die Tränen nicht echt sind. Er war völlig außer sich, schluchzte,
die Arme um Brust und Kopf geschlungen, als müsse er sich schützen.« Sergios
Worte kamen stoßweise, wie der Novemberwind auf dem Lido. »Immer wieder
wiederholte er: ›Ich wollte das nicht. Mein Vater hat es befohlen. Ich sollte
sie einschüchtern. Er sagte, sie arbeitet nicht fleißig genug.‹ Er war wie ein
kleiner Junge. Er konnte gar nicht mehr aufhören.«
    »Und was hast du gemacht?«
    Sergio warf die Arme hoch; sie waren so lang, dass ein Kellner in
Deckung gehen musste, worauf Sergio sich entschuldigte und der Kellner lächelnd
abwehrte.
    Als Sergio sie wieder ansah, schien er ruhiger. »Wenn das mein
kleiner Sohn gewesen wäre, hätte ich ihm ein Taschentuch gegeben und gesagt, er
soll sich beruhigen, alles wird gut. Aber das war der Mann, der dich verfolgt hat.«
    »Also?«
    »Also habe ich ihn nach dem Namen seines Vaters gefragt.«
    »Und?«
    »Scapinelli«, sagte Sergio. »Schon mal gehört?«
    »O ja«, sagte Caterina nur. »Und weiter?«
    »Mir war das alles so peinlich, dass ich ihn schließlich gefragt
habe, was der Schmetterling kostet.« Da sie ihn erstaunt ansah, glaubte er das
erklären zu müssen. »Ich weiß, ich weiß, das war ziemlich blöd, aber mir ist
einfach nichts Besseres eingefallen.«
    [267]  »Und wie hat er reagiert?«
    Sergio brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. »Ich nehme an, er war
genauso verblüfft wie du, oder ich, denn jetzt sah er zu mir auf und sagte, der
koste zwanzig Euro, aber die brauche ich nicht zu bezahlen. Er werde seinem
Vater erzählen, ein Kunde habe ihn zerbrochen.«
    »Und?«
    Er schien sich zu wundern, dass sie nicht von selbst darauf kam.
»Ich habe getan, was ich tun musste: Ich griff nach meinem Portemonnaie.«
Sergio sah sie gequält an. »Als er meine Handbewegung sah, warf er sich zur
Seite, als fühlte er sich bedroht. Rutschte auf dem Stuhl von mir weg, die Wand
entlang. Und hielt sich schützend die Arme über den Kopf.« Als sei die
Geschichte ohne dieses letzte Detail nicht vollständig, bemerkte er noch: »Und
er hat gestöhnt. Wie ein Tier. In der Falle.«
    Sergio nahm sein Glas, sah es an und stellte es zurück.
    Mit gepresster Stimme fuhr er fort: »Ich habe zwanzig Euro
herausgenommen und auf seine Zeitung gelegt. Neben den abgebrochenen Flügel.
Und ihm versichert, ihm werde nichts geschehen.«
    »Und?«
    »Und dann bin ich gegangen.«
    »Hast du Clara davon erzählt?«
    »Nein. Ich wollte erst mit dir reden.«
    »Gut. Danke«, sagte Caterina. »Und wie fühlst du dich jetzt?«
    »Wie ein mieses Schwein. Ich habe noch nie jemanden
eingeschüchtert«, sagte Sergio, merkte aber selbst, wie unwahrscheinlich sich
das in Anbetracht seiner äußeren [268]  Erscheinung anhören musste. »Seit dem
Pausenhof habe ich mich mit niemandem mehr angelegt.« Er deutete mit seinen
Händen seine Körpergröße an. »Kann ich mir schlecht erlauben, nicht wahr?«
    »Also ist es ein Handicap?«, fragte Caterina zu ihrer eigenen
Verblüffung.
    »Was?«
    »So groß zu sein. Ist das ein Handicap?«
    Sergio lächelte, als habe die Frage ihm eine Last von den Schultern
genommen. »So habe ich das noch nie gesehen«, meinte er nachdenklich. Er nahm
eine Handvoll Erdnüsse

Weitere Kostenlose Bücher