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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Tezcatlipoca, für die Erde, auf deiner Seite. Bam hält auf der Seite Wache, und neben ihm ist das Zeichen Eins-Affe.
    Also. Das hätten wir. Macht doch Spaß, oder? Wir haben das schon mal gemacht, weißt du noch? Da ist irgendetwas schiefgegangen. Aber diesmal klappt es bestimmt. Diesmal rufen wir den richtigen Wind. Nicht den Hurakan, sondern den Ehecatl, den Wind der Veränderung, weil es etwas gibt, das wir verändern müssen.
    Okay? Jetzt zeichnen wir das Spiralzeichen in den roten Zucker auf dem Fußboden.
    Als Nächstes kommt die Beschwörung. Ich weiß, du kannst den Text nicht, aber mitsingen kannst du trotzdem, wenn du willst. Sing –
    V’là l’bon vent, v’là l’joli vent –
    Genau. Aber bitte ganz leise.
    Gut. Jetzt sind die Puppen dran. Die hier, das ist Roux. Du kennst Roux nicht, aber du wirst ihn bald kennenlernen. Und das hier ist Maman, siehst du? Maman in ihrem schönen roten Kleid.Eigentlich heißt sie Vianne Rocher. Das habe ich ihr ins Ohr geflüstert. Und wer ist das, mit den Mangohaaren und den großen Augen? Das bist du, Rosette. Das bist du. Und die Püppchen stellen wir alle hier in den Kreis, mit den brennenden Kerzen und mit dem Zeichen des Ehecatl in der Mitte. Weil sie zusammengehören, wie die Leute im Stall von Bethlehem. Und bald sind sie auch wieder beieinander, und wir können eine Familie sein.
    Und das – wer ist das, außerhalb des gelben Kreises? Das ist Thierry, mit seinem Handy. Wir wollen nicht, dass der Wind Thierry Schaden zufügt, aber er soll nicht mehr hier bei uns sein, weil du nur einen Vater haben kannst, Rosette, und Thierry ist nicht dein Vater. Deshalb muss er gehen. Tut mir leid, Thierry.
    Hörst du den Wind draußen? Das ist der Wind der Veränderung, der immer näher kommt. Zozie sagt, man kann auf dem Wind reiten, sie sagt, der Wind ist wie ein wildes Pferd, das man zähmen und trainieren kann, damit es tut, was man will. Du kannst ein Drachen sein, ein Vogel; du kannst anderen Menschen ihre Wünsche erfüllen; du kannst deine Träume verwirklichen.
    Wenn Wünsche Pferde wären, würden die Bettler reiten .
    Komm, Rosette. Lass uns reiten.

7

    S AMSTAG , 15 . D EZEMBER
    Verblüffend, nicht wahr, wie hinterlistig und raffiniert so ein Kind sein kann. Wie eine kleine Hauskatze, die tagsüber friedlich auf dem Sofa schnurrt, aber nachts ist sie eine stolze Königin, die geborene Mörderin, die für ihr anderes Leben nur Verachtung übrig hat.
    Anouk ist kein Killer – jedenfalls noch nicht –, aber sie hat durchaus eine wilde Seite. Natürlich freut es mich, das zu sehen – an Haustieren habe ich kein Interesse –, aber ich muss sie im Auge behalten, damit sie nicht hinter meinem Rücken irgendwelche Aktionen startet.
    Zuerst hat sie ohne mich Ehecatl angerufen. Ich hatte absolut nichts dagegen – im Gegenteil, ich bin stolz auf sie. Sie ist fantasievoll, einfallsreich, sie erfindet Rituale, wenn die bestehenden Riten unbefriedigend sind – kurz, von Natur aus eine Chaoistin.
    Als Zweites – und das erscheint mir viel entscheidender – ist sie gestern zu Roux gegangen, heimlich und gegen meinen ausdrücklichen Rat. Zum Glück hat sie alles in ihr Tagebuch geschrieben, das ich in regelmäßigen Abständen inspiziere. Das ist ganz einfach – genau wie ihre Mutter bewahrt Anouk ihre Geheimnisse in einer Holzkiste hinten in ihrem Kleiderschrank auf, vorhersagbar, aber praktisch –, und seit ich hier bin, überprüfe ich beide Kisten immer wieder.
    Und das ist gut so, wie sich herausstellt. Sie trifft ihn heute wieder, schreibt sie, auf dem Friedhof, um drei. In gewisser Weise könnte es nicht besser laufen. Meine Pläne für Vianne sind fastabgeschlossen, und bald wird die nächste Runde eingeläutet. Aber es ist viel leichter, ein Leben von einem Stück Papier zu stehlen als von einer realen Person – ein paar weggeworfene Rechnungen, ein Reisepass, auf dem Flughafen elegant aus einer Handtasche entfernt, oder auch der Name auf einem neuen Grabstein, und schon ist die Sache geritzt. Aber diesmal will ich mehr als einen Namen, mehr als eine Kreditkarte, viel mehr als nur Geld.
    Es ist natürlich ein Strategiespiel. Und wie bei vielen Strategiespielen besteht der Trick darin, die einzelnen Spielsteine richtig zu platzieren, ohne dass der Gegenspieler ahnt, worauf man hinaus will, und dann zu entscheiden, welche man opfern muss, um als Sieger hervorzugehen. Letzten Endes wird es ein Zweikampf zwischen Yanne und mir – und ich muss

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