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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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geschrieben. Er hatte es also tatsächlich nicht gewusst, aber seiner Reaktion nach zu urteilen, war er auch nicht unbedingt entzückt.
    Ich schaute auf das Symbol des Mondhasen und zeichnete daneben das des Roten Affen Tezcatlipoca auf den staubigen Boden.
    »Ich weiß, was du denkst. Sie ist ziemlich klein für vier Jahre. Sie sabbert manchmal und wacht nachts oft auf. Und bei bestimmten Sachen ist sie ein bisschen langsam, zum Beispiel beim Sprechen und beim Essen mit dem Löffel. Aber sie ist lustig und unglaublich süß – und wenn du ihr eine Chance gibst –«
    Jetzt hatte sein Gesicht dieselbe Farbe wie der Holzstaub. Er schüttelte den Kopf, als wäre das Ganze ein böser Traum oder sonst irgendetwas, das er abschütteln konnte.
    »Vier?«, fragte er.
    »Nächste Woche hat sie Geburtstag.« Ich lächelte ihn an. »Ich habe gewusst, dass du keine Ahnung hast. Ich habe mir nämlich gesagt: Roux hätte uns nie verlassen, wenn er von Rosette gewusst hätte.« Und dann erzählte ich ihm, wie es war, als sie auf die Welt kam, ich erzählte von der Crêperie in Les Laveuses und dass Rosette am Anfang immer krank war und dass wir sie mit einer Pipette aufpäppeln mussten, ich erzählte von unserem Umzug nach Paris und überhaupt alles, was hier so passiert war.
    »Moment mal«, sagte Roux. »Weiß Vianne, dass du hier bist? Weiß sie, dass du mir das alles erzählst?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß niemand.«
    Er überlegte eine Weile, und ganz langsam wechselten seine Farben vom ruhigen Blau und Grün zu wilden Rot- und Orangetönen, und seine Mundwinkel gingen nach unten, seine Lippen wurden ganz schmal, und er war überhaupt nicht mehr der Roux, den ich kannte.
    »Und sie hat die ganze Zeit keinen Ton gesagt? Ich habe eine Tochter, und ich weiß nichts davon?« Wenn er wütend ist, hört man seinen südfranzösischen Akzent viel deutlicher, und jetzt war er dermaßen stark, dass es fast so klang, als spräche er eine andere Sprache.
    »Na ja – vielleicht hatte sie keine Gelegenheit dazu.«
    Er knurrte böse. »Vielleicht denkt sie aber auch, ich eigne mich nicht als Vater.«
    Ich wollte ihn umarmen, ich wollte machen, dass es ihm wieder besser ging, und ihm sagen, dass wir ihn lieben – wir alle. Aber erwar so durchgedreht, dass er gar nicht zuhören konnte – das sah ich sogar ohne den Rauchenden Spiegel –, und auf einmal dachte ich, dass es vielleicht doch ein Fehler war, ihm alles zu erzählen. Hätte ich auf Zozies Rat hören sollen?
    Plötzlich stand er auf, als hätte er gerade einen Entschluss gefasst, schlurfte über das Zeichen des Roten Affen Tezcatlipoca im Staub unter seinen Füßen.
    »Ich hoffe, ihr habt euch alle gut amüsiert bei diesem Witz. Nur schade, dass ihr euch nicht noch ein bisschen länger amüsieren konntet – wenigstens bis ich mit der Wohnung fertig bin.« Er zog sich die Staubmaske vom Hals und warf sie wütend an die Wand. »Du kannst deiner Mutter ausrichten, mir reicht’s. Sie soll ihre heiß ersehnte Sicherheit haben. Sie hat sich entschieden, und das akzeptiere ich. Und wenn du schon dabei bist, kannst du auch noch Le Tresset sagen, dass er seine Wohnung von jetzt an selbst renovieren muss. Ich gehe.«
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    »Was heißt das – zurück zu deinem Boot?«, fragte ich.
    »Zu welchem Boot?«
    »Du hast gesagt, du hast ein Boot.«
    »Na ja.« Er schaute auf seine Hände.
    »Soll das heißen, du hast kein Boot?«
    »Natürlich habe ich ein Boot. Ein ganz tolles sogar.« Er schaute weg, und seine Stimme war sehr leise. Ich machte mit meinen Fingern den Rauchenden Spiegel und sah seine Farben, eine Mischung aus wütenden Rottönen und zynischem Grün, und ich dachte: Bitte, bitte, Roux. Nur dieses eine Mal .
    »Wo liegt es?«, fragte ich.
    »Im Port de l’Arsenal.«
    »Wieso ausgerechnet dort?«
    »Ich war auf der Durchreise.«
    Also das war nun wirklich eine Lüge. Es dauert ganz schön lange, mit dem Boot vom Tannes hier hoch zu fahren. Monatelang, vielleicht. Und man kommt nicht einfach auf der Durchreise in Parisvorbei. Man muss sich beim Port de Plaisance anmelden und für einen Liegeplatz bezahlen. Und außerdem, wenn Roux ein Boot hätte, würde er dann überhaupt hier für Thierry arbeiten?
    Aber wenn er log, wie konnte ich dann noch weiter mit ihm reden? Mein Plan (so weit er schon fertig war) basierte vor allem darauf, dass ich dachte, Roux würde sich richtig freuen, mich zu sehen. Ich hatte gehofft, er würde sagen,

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