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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sich nicht wohl da.«
    Das war natürlich nicht alles, was er gesagt hatte. Der Rest war aber so bescheuert und so verquer, dass ich es nicht wiederholen wollte. Ich meine – ich habe Jean-Loup wirklich gern. Aber Zozie ist meine beste Freundin – außer Roux und Maman natürlich –, und es macht mir etwas aus, dass Jean-Loup so unfair zu ihr ist.
    »Er kann Zozie nicht leiden?«, fragte Roux.
    Ich zuckte die Achseln. »Er kennt sie doch gar nicht. Aber irgendwann hat sie ihn angefahren. Normalerweise ist sie nicht so. Sie kann es nur nicht leiden, wenn man sie fotografiert.«
    Aber das war immer noch nicht alles. Er hat mir nämlich heute zwei Dutzend Fotos gezeigt, die er ausgedruckt hat. Sie stammten alle von seinem Besuch in der Chocolaterie : Bilder vom Adventshaus, von Maman und mir, von Rosette und dann noch vier Fotos von Zozie, alle aus einem komischen Winkel aufgenommen, als hätte er versucht, sie heimlich zu knipsen.
    »Das ist nicht fair. Sie hat dir doch gesagt, du sollst das nicht.«
    Jean-Loup machte ein trotziges Gesicht. »Schau sie dir aber trotzdem mal an.«
    Ich schaute sie mir an. Die Fotos taugten nichts. Viel zu verschwommen, man konnte Zozie gar nicht richtig erkennen – das Gesicht war nur ein helles Oval, und der verzerrte Mund sah aus wie Stacheldraht –, und sie waren schlecht ausgedruckt, immer war ein dunkler Schatten um ihren Kopf und um diesen Schatten herum ein gelblicher Kreis.
    »Du musst beim Ausdrucken irgendwas falsch gemacht haben«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, der Drucker war völlig in Ordnung.«
    »Dann hat die Belichtung nicht gestimmt. Oder so.«
    »Kann sein«, sagte er. »Oder es ist etwas ganz anderes.«
    Ich schaute ihn an. »Was meinst du?«
    »Du weißt schon«, sagte er. »Geisterlichter –«
    Oh, Mann. Geisterlichter. Ich glaube, Jean-Loup wünscht sich schon so lange, endlich irgendwelche eigenartigen Sachen zu sehen, dass er schon vollkommen durchdreht. Ich meine – ausgerechnet Zozie. Noch mehr kann man sich ja kaum irren.
    Roux musterte mich wieder mit diesem Engelsstatuenlächeln. »Erzähl mir von Zozie«, sagte er. »So wie es klingt, seid ihr richtig gute Freundinnen.«
    Also erzählte ich ihm von dem Begräbnis und von den Bonbonschuhen und von Halloween und wie Zozie auf einmal in unserLeben wehte, wie eine Erscheinung aus einem Märchen, und wie danach alles immer besser wurde –
    »Deine Mutter sieht müde aus.«
    Ich dachte: Du musst gerade reden! Er wirkte total erschöpft, sein Gesicht war noch blasser als sonst, und er müsste sich dringend die Haare waschen. Hatte er überhaupt genug zu essen? Vielleicht hätte ich ihm etwas mitbringen sollen.
    »Na ja, jetzt ist viel Betrieb, weil bald Weihnachten ist und so –«
    Moment mal , dachte ich.
    »Hast du spioniert?«, fragte ich ihn.
    Roux zuckte die Achseln. »Ich war ab und zu in der Gegend.«
    »Wieso?«
    Er zuckte wieder die Achseln. »Vielleicht aus Neugier?«
    »Bist du deshalb noch in Paris? Weil du neugierig bist?«
    »Ja, und weil ich das Gefühl hatte, dass deine Mutter irgendwie in Schwierigkeiten steckt.«
    Darauf stürzte ich mich sofort. »Tut sie auch«, sagte ich. »Wir stecken alle in Schwierigkeiten.« Und ich erzählte ihm wieder von Thierry und von seinen Plänen und dass nichts mehr so war wie früher und dass ich mich nach der Zeit sehnte, als alles noch so einfach war –
    Roux lächelte. »Einfach war es nie.«
    »Aber wir haben wenigstens gewusst, wer wir sind«, sagte ich.
    Roux zuckte nur mal wieder die Achseln und schwieg. Ich steckte die Hand in die Tasche. Da war seine Puppe, die von gestern Abend. Drei rote Haare, ein geflüstertes Geheimnis und das Spiralzeichen des Ehecatl, des Windes der Veränderung, mit Filzstift auf das Herz gemalt.
    Ich umklammerte die Puppe mit den Fingern, ganz fest, als könnte ich ihn so zum Bleiben bringen.
    Roux fröstelte und zog seinen Mantel dichter um sich.
    »Also – du gehst nicht fort, oder?«, fragte ich.
    »Ich hatte es eigentlich schon vor. Vielleicht sollte ich gehen. Aber es gibt noch etwas, was mich beschäftigt. Anouk – hattestdu schon mal das Gefühl, dass irgendetwas passiert – ich meine, dass jemand dich ausnützt, dich manipuliert, und du hast keine Ahnung, wie und warum?«
    Er schaute mich an, und zu meiner Erleichterung sah ich keine Wut in seinen Farben. Nur ein nachdenkliches Blau. Er redete ganz ruhig, und ich glaube, ich habe ihn noch nie so lange am Stück reden hören, denn

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