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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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mir hier gefällt. Montmartre ist das letzte Dorf in Paris, heißt es immer, und dieser Teil der Butte ist so etwas wie eine Parodie des ländlichen Frankreichs, mit den vielen Cafés und den kleinen Crêperien, mit den rosarot oder pistaziengrün gestrichenen Häusern, mit den falschen Fensterläden und den Geranien auf jedem Fenstersims, alles betont pittoresk, eine Filmszenerie mit vorgetäuschtem Charme, unter dem man das Herz aus Stein durchschimmern sieht.
    Vielleicht gefällt es mir genau deswegen hier so gut. Montmartre ist die perfekte Umgebung für Zozie de l’Alba. Und ich bin fast hier gelandet, ich habe an einem Platz hinter Sacré Cœur eine Pause eingelegt, mir in einer Bar namens Le P’tit Pinson einen Kaffee und ein Croissant bestellt und mich an eins der Tischchen draußen vor der Tür gesetzt.
    Ein blaues Metallschild oben an der Hausecke gab den Namen des Platzes an: Place des Faux-Monnayeurs. Klein und rechteckig,wie ein ordentlich gemachtes Bett. Ein Café, eine Crêperie, ein paar Geschäfte. Sonst nichts. Nicht einmal ein Baum, um die Ecken abzumildern. Aber aus irgendeinem Grund fiel mein Blick sofort auf einen kleinen Laden – eine Art Confiserie, dachte ich, obwohl auf dem Schild in der Tür gar nichts stand. Die Jalousie war halb heruntergelassen, aber von meinem Tisch aus konnte ich sehen, was im Schaufenster ausgestellt war, und die hellblaue Tür sah aus wie ein Stück Himmel. Leises Geklingel wehte über den Platz – ein Windspiel, das über der Tür hing und seine Zufallstöne wie Signale in die Luft sendete.
    Warum fesselte mich dieser Laden? Ich konnte es selbst nicht sagen. Im Wirrwarr der Straßen, die zur Butte de Montmartre führen, gibt es viele solcher Läden, krumm und schief wie arme Sünder auf dem Kopfsteinpflaster. Eine schmale Fassade, ein müder Rücken, und oft ist das Erdgeschoss ganz feucht. Die Mieten sind exorbitant, und eigentlich können die Geschäfte nur dank der Dummheit der Touristen überleben.
    Die Zimmer über den Läden sind selten besser. Winzig klein und unpraktisch. Nachts, wenn die Straßen und die Stadt unter ihnen zum Leben erwachen, ist es dort extrem laut; kalt im Winter und im Sommer wahrscheinlich unerträglich heiß, wenn die Sonne auf die Schieferdächer niederbrennt und das einzige Fenster, eine Luke, keine zwanzig Zentimeter breit, nur drückende Hitze hereinlässt.
    Aber irgendetwas weckte mein Interesse. Vielleicht die Briefe, die aus der Öffnung des Metallbriefkastens herausragten wie eine vorwitzige Zunge aus einem breiten Mund. Vielleicht der Geruch von Muskat und Vanille (oder war es nur die Feuchtigkeit?), der unter der blauen Tür durchdrang. Vielleicht der Wind, der mit meinem Rocksaum flirtete und die Klimperstäbe über der Tür bewegte. Oder vielleicht der Zettel – ordentlich von Hand geschrieben – mit seiner verheißungsvollen Mitteilung.
    Wegen Todesfall geschlossen.
    Ich hatte inzwischen meinen Kaffee ausgetrunken, mein Croissant gegessen. Also bezahlte ich und ging hinüber zu dem Laden, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Es war eine Chocolaterie , das winzige Schaufenster war dekoriert mit Kartons und Dosen, hinter denen man im Halbdunkel Tabletts mit Pralinenpyramiden ausmachen konnte, jede unter einer runden Glasglocke, die an Hochzeitssträuße aus dem letzten Jahrhundert erinnerten.
    Hinter mir, im Le P’tit Pinson , aßen zwei Männer weiche Eier und Tartines au beurre , während der Patron mit der Schürze lautstark über einen Kerl namens Paupaul schimpfte, der ihm offenbar Geld schuldete.
    Abgesehen davon war der Platz fast menschenleer: Eine Frau fegte den Gehweg, zwei Maler mit Staffeleien unter dem Arm strebten zur Place du Terre.
    Einer von ihnen, ein junger Mann, begegnete meinem Blick und rief: »Na, so was – Sie sind das!«
    Der Jagdruf eines Porträtmalers. Ich kenne diesen Satz – aus eigener Erfahrung –, und ich kenne auch den entzückten Blick des Wiedererkennens, der ausdrücken soll, dass der Künstler endlich seine Muse gefunden hat, nach der er schon so viele Jahre gesucht hat, und dass der rasante Preis, den er für sein Werk verlangt, der unglaublichen Perfektion seines Œuvres in keiner Weise gerecht werden kann.
    »Nein, ich bin’s nicht«, erwiderte ich trocken. »Suchen Sie sich ein anderes Opfer, das Sie unsterblich machen können.«
    Er zuckte die Achseln, zog eine Grimasse und eilte hinter seinem Freund her. Die Chocolaterie gehörte jetzt mir, nur mir.
    Ich warf einen

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