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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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es fast nicht gesehen, aber als ich mich gerade umdrehte,machte sie hinter ihrem Rücken ein Zeichen. Das Zeichen, mit dem meine Mutter Unheil abwehrte.
    Tsk-tsk, verschwinde!
    Ich sah, wie Laurent sich auf den Nacken schlug, als hätte ihn ein Insekt gestochen. Ich holte tief Luft – zu spät. Es war schon passiert. Ganz natürlich, so wie ich es früher auch gemacht hätte, wenn die letzten vier Jahre nicht gewesen wären.
    »Laurent?«, sagte ich.
    »Ich muss los«, sagte er. »Es gibt viel zu tun, ich hab keine Zeit mehr.« Und er rieb sich immer noch den Nacken, als er sich aus dem Sessel wuchtete, in dem er fast eine halbe Stunde gesessen hatte, und rannte aus dem Laden.
    Zozie grinste. »Endlich«, sagte sie.
    Ich ließ mich in den Sessel fallen.
    »Ist was?«
    Ich musterte sie nachdenklich. So fängt es immer an, mit den kleinen Dingen. Mit den Dingen, die nicht zählen. Aber ein kleines Ding führt zum nächsten und das dann zum dritten, und eh man sich’s versieht, geht es wieder los, und der Wind dreht, und die Wohlwollenden haben die Spur aufgenommen und –
    Und einen Moment lang gab ich Zozie die Schuld. Schließlich war sie diejenige, die meine kleine Chocolaterie in diese Piratenhöhle verwandelt hat. Bevor sie kam, war ich damit zufrieden, Yanne Charbonneau zu sein, einen Laden wie alle anderen zu führen, Thierrys Ring zu tragen und es hinzunehmen, dass die Welt sich einfach immer weiter dreht, ohne dass ich eingreife.
    Aber jetzt ist alles anders. Mit einem einzigen Fingerschnippen sind vier ganze Jahre wie weggeblasen, und eine Frau, die schon längst tot sein müsste, schlägt die Augen auf und scheint wieder zu atmen …
    »Vianne –«, sagte Zozie leise.
    »So heiße ich nicht.«
    »Aber früher, oder? Vianne Rocher.«
    Ich nickte. »In einem anderen Leben.«
    »Es muss nicht Vergangenheit sein.«
    Tatsächlich? Was für ein gefährlicher Gedanke. Und wie verlockend. Wieder Vianne zu sein, mit Wundern zu handeln, den Menschen zu zeigen, welchen Zauber sie in sich tragen …
    Ich muss es ihr sagen. So kann es nicht weitergehen. Klar, es ist nicht ihre Schuld, aber ich muss einen Riegel vorschieben. Die Wohlwollenden sind uns immer noch auf den Fersen, immer noch geblendet, aber grausam in ihrer Beharrlichkeit. Ich spüre sie kommen, durch den Nebel, ich ahne, wie sie mit ihren langen Fingern die Luft durchkämmen und auf einen Zauberfunken lauern, und sei er auch noch so klein.
    »Ich weiß, du willst mir helfen«, sagte ich. »Aber wir schaffen das schon.«
    Sie hob die Augenbrauen.
    »Du weißt, was ich meine.« Ich brachte es nicht über die Lippen. Stattdessen nahm ich eine Pralinenschachtel und ritzte eine mystische Spirale in den Deckel.
    »Oh, ich verstehe. Diese Art von Hilfe.« Sie betrachtete mich neugierig. »Warum? Was spricht dagegen?«
    »Du würdest es nicht verstehen.«
    »Wieso würde ich es nicht verstehen?«, fragte sie. »Wir sind gleich, du und ich.«
    »Nein, wir sind überhaupt nicht gleich!« Meine Stimme war viel zu laut, und ich zitterte. »Ich mache so was nicht mehr. Ich bin normal. Ich bin langweilig. Du kannst alle Leute fragen.«
    »Na, egal.« Das ist zurzeit Anouks Lieblingsredensart – sie unterstreicht es immer mit diesem ganzkörperlichen Schulterzucken, mit dem junge Mädchen ihre Missbilligung ausdrücken. Bei Zozie sollte es witzig sein, aber mir war nicht zum Lachen.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß, du meinst es gut. Aber die Kinder – Kinder schnappen so etwas sehr schnell auf. Am Anfang ist es ein Spiel, aber dann gerät es außer Kontrolle.«
    »Liegt da das Problem? Ist es außer Kontrolle geraten?«
    »Ich möchte nicht darüber sprechen, Zozie.«
    Sie setzte sich neben mich. »Komm schon, Vianne. So schlimm kann es doch gar nicht sein. Mir kannst du es erzählen.«
    Und jetzt sah ich die Wohlwollenden, ihre Gesichter, ihre tastenden Hände. Ich sah sie hinter Zozies Gesicht, hörte ihre Stimmen, einschmeichelnd, vernünftig und, oh, so unglaublich gütig!
    »Ich schaffe es schon«, sagte ich. »Ich schaffe es immer.«
    Ach, du Lügnerin !
    Wieder Roux’ Stimme. So klar und deutlich, dass ich mich beinahe nach ihm umdrehte. Es gibt zu viele Geister in diesem Haus, dachte ich. Zu viele Flüstergeschichten aus anderen Zeiten, von anderen Orten und, schlimmer noch, zu viele Geschichten von dem, was hätte sein können.
    Geh weg , sagte ich stumm. Ich bin jetzt eine andere. Lass mich in Ruhe .
    »Ich schaffe es schon«,

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