Himmlische Wunder
Sachzwänge und die Kunden.
Nico und Alice waren heute wieder da. Alice kaufte eine kleine Schachtel mit Fudge-Carrés – eine winzig kleine Schachtel, aber sie aß alle selbst – und Nico ein Kilo Makronen.
»Ich kann nicht genug kriegen von diesen kleinen Monstern«, sagte er. »Da brauche ich immer Nachschub, Yanne, kann ich mich darauf verlassen?«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, einfach, weil er immer so überschwänglich ist. Die beiden setzten sich an den Tisch vorne im Laden, Alice trank einen Mocca und Nico eine Schokolade mit Sahne und Marshmallows, während Zozie und ich uns diskret in die Küche zurückzogen, wo wir aufpassten, ob noch mehr Kundschaft kam. Rosette holte ihren Zeichenblock und fing an, Affen zu zeichnen, Affen mit langen Schwänzen und breiten Grinsgesichtern, in allen Farben aus ihrer Farbenschachtel.
»Hallo, das ist gut!«, rief Nico, als Rosette ihm ein Bild von einem fetten violetten Affen überreichte, der gerade eine Kokosnuss aß. »Ich glaube, du magst Affen, stimmt’s?«
Er zog eine Affengrimasse für Rosette, die heiser lachte und ein Zeichen machte, das Noch mal! bedeutet. Sie lacht jetzt öfter. Das ist mir aufgefallen. Bei Nico, bei mir, bei Anouk, bei Zozie – vielleicht reagiert sie ja auch ein wenig aufgeschlossener, wenn Thierry das nächste Mal kommt.
Alice lachte ebenfalls. Rosette mag sie am allerliebsten, vielleicht, weil sie so klein ist. In ihrem kurzen, bunt gemusterten Kleid und dem blassblauen Mantel wirkt sie fast wie ein Kind. Oder weil sie auch kaum redet, nicht mal zu Nico sagt sie viel, aber der quasselt ja genug für zwei.
»Der Affe sieht aus wie Nico«, sagte sie jetzt. Wenn sie mit Erwachsenen spricht, ist ihre Stimme leise und gehemmt. Aber im Umgang mit Rosette ist das ganz anders: Da wird ihre Stimme kräftig und munter, und Rosette reagiert mit einem strahlenden Lächeln.
Also malte Rosette Affen für uns alle. Zozies Affe trägt knallrote Fausthandschuhe an allen vier Pfoten. Alices Affe ist neonblau und hat einen winzigen Körper, dafür aber einen superlangen, verschlungenen Schwanz. Meiner ist irgendwie verlegen und versteckt sein haariges Gesicht hinter seinen Händen. Rosette ist begabt, daran gibt es keinen Zweifel, ihre Zeichnungen sind natürlich nicht hochkünstlerisch, aber verblüffend lebendig; und sie kann mit wenigen Bleistiftstrichen einen sehr treffenden Gesichtsausdruck einfangen.
Wir lachten immer noch, als Madame Luzeron mit ihrem flauschigen Apricothündchen eintrat. Madame Luzeron kleidet sich immer extrem gepflegt, sie trägt graue Twinsets, die ihre breiter werdende Taille kaschieren, darüber gut geschnittene Jacken in Anthrazit oder Schwarz. Sie lebt in einem der großen Häuser mit Stuckfassade, hinter dem Park, geht jeden Tag zur Messe, jeden zweiten Tag zum Friseur – außer donnerstags, weil sie da immer auf den Friedhof muss und unterwegs bei uns im Laden vorbeischaut.Wahrscheinlich ist sie kaum älter als fünfundsechzig, aber ihre Hände sind ganz krumm und knorrig von ihrer Arthritis, und ihr dünnes Gesicht ist kreideweiß gepudert.
»Drei Rumtrüffel, in einer Schachtel.«
Madame Luzeron sagt nie »bitte«. Dafür ist sie einfach zu bourgeois. Sie starrte den fetten Nico und Alice an, ebenso die leeren Tassen und die Affen. Kritisch zog sie die übertrieben gezupften Augenbrauen hoch.
»Ich sehe, Sie haben alles … renoviert.« Die kurze Pause vor dem letzten Wort suggerierte, dass sie Zweifel am Gelingen dieser Aktion anmelden wollte.
»Fabelhaft, nicht wahr?« Das war Zozie. Sie kennt Madames Allüren noch nicht, und diese durchbohrte sie mit den Augen, registrierte den überlangen Rock, die mit einer Plastikrose zurückgesteckten Haare, die klimpernden Armreifen und die Keilabsatzschuhe mit dem Kirschenmuster, zu denen sie heute pink-schwarzgeringelte Strümpfe trägt.
»Wir haben die Stühle selbst hergerichtet«, sagte sie und griff in die Glasschale, um die Pralinen zu holen. »Wir fanden, es wäre nicht schlecht, den Laden ein bisschen bunter zu gestalten.«
Madame lächelte wie eine Balletttänzerin, die ihre Schuhe drücken.
Zozie plauderte weiter, als würde sie nichts merken. »Hier, Ihre Rumtrüffel. Was für eine Farbe für die Schleife? Pink sieht immer hübsch aus. Oder vielleicht lieber rot? Was meinen Sie?«
Madame sagte nichts, und Zozie schien auch keine Antwort zu erwarten. Sie packte die Pralinen ein, band eine hübsche Schleife darum und gab noch eine
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