Himmlische Wunder
dieser Sonnenglanz, der unsere Tür umgibt, auch wenn es regnet. Womöglich leistet Zozie schon die ganze Zeit ein wenig Schützenhilfe, und der Kundenstrom, den wir in den letzten Tagen begrüßen durften, hat nicht nur mit unserem Warenangebot zu tun.
Ich weiß, was meine Mutter sagen würde.
Wem schadet es? Niemand leidet darunter. Haben sie es nicht verdient, Vianne?
Und wir? Haben wir es nicht verdient ?
Ich hatte mir gestern vorgenommen, Zozie zu warnen. Ihr zu erklären, warum sie sich nicht einmischen darf. Aber ich habe es nicht über mich gebracht. Die Büchse mit all den Geheimnissenkann man vielleicht nie wieder schließen, wenn man sie erst einmal aufgemacht hat. Und Zozie findet mich sowieso bescheuert, das spüre ich. Sie denkt, ich bin so knickerig mit meinen Gaben wie sie großzügig ist, ich bin wie der geizige Bäcker aus dem Märchen, der für den Duft beim Brotbacken Geld verlangte.
Wem schadet es ? Ich weiß, das würde sie sagen. Was haben wir zu verlieren, wenn wir ihnen helfen?
Ich war kurz davor, ihr alles zu erzählen. Aber jedes Mal, wenn ich den Mund aufmachte, habe ich wieder einen Rückzieher gemacht. Außerdem ist es ja vielleicht doch nur Zufall.
Aber heute ist wieder etwas passiert. Etwas, das meine Zweifel bestätigt. Ein eher unwahrscheinlicher Katalysator – Laurent Pinson. Ich habe ihn diese Woche schon mehrmals im Rocher de Montmartre gesehen. Das ist keine besonders interessante Neuigkeit, und wenn ich mich nicht irre, kommt er nicht wegen unserer Schokolade.
Heute Morgen war er also wieder da. Er studierte die Pralinen in ihren Glasbehältern, schnupperte an den Preisschildern, registrierte jede einzelne Verbesserung mit säuerlicher Miene und mit einem gelegentlichen Knurren, das recht unverhohlen seine Missbilligung ausdrückte.
»Grrmpf.«
Es war einer dieser sonnigen Novembertage, die umso wertvoller erscheinen, weil sie so rar sind. Ruhig wie ein Mittsommertag, der Himmel hoch und klar und die Kondensstreifen wie Kratzer im strahlenden Blau.
»Schöner Tag heute«, sagte ich.
»Grrmpf.«
»Wollten Sie sich nur umsehen, oder darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«
»Bei den Preisen?«
»Auf Kosten des Hauses.«
Manche Menschen bringen es nicht über sich, ein kostenloses Getränk abzulehnen. Widerstrebend nahm Laurent Platz, akzeptierte eine Tasse Kaffee und eine Praline und begann dann mit seiner üblichen Litanei.
»Dass sie mein Café zugemacht haben, ausgerechnet jetzt, um diese Jahreszeit, das ist reine Schikane, sonst nichts. Jemand hat es darauf angelegt, mich zu ruinieren.«
»Was ist passiert?«, erkundigte ich mich.
Er breitete sein Leid vor mir aus. Jemand hatte sich darüber beschwert, dass er Reste in der Mikrowelle aufwärmt, irgendein Idiot wurde krank, sie hetzten ihm die Behörde auf den Hals, einen Inspektor, der nicht mal richtig Französisch konnte, und obwohl Laurent sehr höflich zu ihm war, fühlte dieser sich durch irgendetwas, was Laurent gesagt hatte, beleidigt und –
»Peng! Geschlossen! Einfach so! Ich meine, wie tief ist dieses Land gesunken, wenn ein absolut anständiges Café, ein Café, das es seit Jahrzehnten gibt, von einem dahergelaufenen Pied noir mir nichts, dir nichts geschlossen werden kann!«
Ich tat so, als würde ich zuhören, während ich im Kopf nachrechnete, welche Pralinen sich am besten verkauft haben und für welche die Zutaten knapp gewesen sind. Außerdem tat ich so, als würde ich nicht merken, wie Laurent sich unaufgefordert noch eine meiner Pralinen nahm. Ich kann es mir leisten. Und er muss reden.
Nach einer Weile kam Zozie aus der Küche, wo sie mir beim Schokoladenkuchen geholfen hatte. Abrupt unterbrach er sein Klagelied und lief feuerrot an, bis zu den Ohren.
»Zozie, guten Tag«, sagte er übertrieben würdevoll.
Sie grinste. Es ist kein Geheimnis, dass er sie toll findet – wer tut das nicht? –, und heute sah sie besonders gut aus, in einem bodenlangen Samtkleid und Stiefeletten, beides in zartem Kornblumenblau.
Auf einmal hatte ich Mitleid mit ihm, ob ich wollte oder nicht. Zozie ist eine attraktive Frau, und Laurent ist in einem Alter, in dem sich Männer leicht den Kopf verdrehen lassen. Aber mir war plötzlich klar, dass wir ihn zwischen jetzt und Weihnachten jeden Tag hier sehen werden: Er wird immer auf ein kostenloses Getränk spekulieren, die anderen Kunden nerven, Zuckerstücke klauen, sich darüber beschweren, dass das Viertel vor die Hunde geht, und –
Ich hätte
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