Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
unendlichen Weisheit füreinander bestimmt. Ja, wir hatten damals Gefallen an der Geschichte des alten Aristophanes, der einmal in Platons „Symposion“ erzählte, die Liebe sei deshalb in die Welt gekommen, weil Zeus einst im Zorn die Menschen in zwei Teile gespalten habe und seither jeder verzweifelt die andere, bessere Hälfte suche. Tatsächlich fühlte es sich zwischen uns so an, als hätten wir endlich die uns fehlende Hälfte gefunden; als sei zusammengekommen, was zusammengehört.
Dies alles sind Bilder, die eines zum Ausdruck bringen sollten: dieses Gefühl des innigsten Verbunden-Seins. In meinen Vorträgen benutze ich dafür gerne ein anderes Bild, auch wenn es dir vielleicht etwas technisch scheint: Ich stelle mir vor, dass ich mit dir wie durch einen kaum sichtbaren Draht verbunden bin, der immer schon da war und der immer da sein wird; und dass in dem Augenblick, in dem wir in die Liebe fielen, dieser Draht zu glühen begann. Hell und strahlend, als sei ein Strom von Energiezwischen unseren Polen in Fluss gekommen. ES funkte zwischen uns und wir energetisierten und befeuerten uns wechselseitig – ganz so, wie es bei allen wirklich liebenden Paaren geschieht –, angefeuert von der Schönheit des Gegenübers und der Sehnsucht nach Ganzsein.
Glühende Drähte. Mir gefällt dieses Bild, weil es eines deutlich macht: Die Verbindung zwischen zwei Menschen wird von diesen nicht selbst geschaffen. Sie war schon immer da, nur noch nicht belebt oder aktiviert. Ich stelle mir vor, dass es unendliche viele Drähte gibt, die uns mit unendlich vielen Menschen verbinden – und nicht nur mit Menschen. Wir sind Teil eines großen Netzes oder Geflechtes des Lebens, in dem alles mit allem verbunden ist, wenn auch vielleicht nicht unmittelbar und direkt.
Wenn du in der Liebe bist, dann kommt dir dieses Vernetzt-Sein zu Bewusstsein; dann spürst du, dass da nicht nur zwischen dir und mir dieses Gefühl der Verbundenheit besteht; sondern dass es in alle Richtungen strahlt. Allem fühlst du dich näher, enger, vertrauter. Die ganze Welt scheint zu deiner Familie zu gehören. Du fühlst dich zuhause in ihr.
In die Liebe zu fallen heißt, um im Bild zu bleiben, den Schalter umzulegen. Und das geschieht in der Begegnung zwischen zwei Menschen, die sich ineinander verlieben. Da springt der Funke, da glüht der Draht, da fließt der Strom. Und wenn er erst einmal ins Fließen gekommen ist, dann fließt er weiter. Dann werden wir uns der Verbundenheit mit unserer Familie, unseren Verwandten, unseren Freunden, unseren Bekannten, den Tieren, dem Garten, dem Wald, der Luft, den Wolken, dem Kosmos, mit Lebenden und mit Toten bewusst. Dann fühlen wir uns zuhause. Dann wissen wir, dass wir am richtigen Ort sind.
Erinnerst du dich? Diese Ahnung des Verbundenseins war es, die in dir damals den Wunsch aufsteigen ließ, die ganze Welt zu umarmen. Sie trieb dich an, deine Freunde an unserem Glück teilhaben zu lassen. Denn der Strom der Liebe war in Fluss gekommen und verzweigte sich im Netzwerk deines Lebens, dessen Mitte und Knotenpunkt dein brennendes Herz war und ist. „Das Herz ist ein Organ aus Feuer“, heißt es im
Englischen Patienten
. Du und ich, wir wissen, dass das stimmt.
Ich habe schon mehrfach auf den alten Platon angespielt. Das ist kein Zufall, denn sein
Symposium
(dt.: Das Gastmahl) enthält für mich immer noch die vielleicht tiefsten philosophischen Gedanken, die dem Thema Liebe und Erotik je gewidmet wurden. Sieben unterschiedliche Reden – von sehr unterschiedlicher Qualität – hat Platon dort zu Papier gebracht. Die wichtigste und erhellendste Rede über den Eros bzw. die Liebe hält darin eine Frau: Diotima. Wir erfahren von ihr, dass sie eine Priesterin des Apollon sei – und eine weise Heilkundige, die einst die Stadt Athen vor der Pest bewahrt habe. Bei dieser Frau, sagt Sokrates (der die zentrale Rolle in diesem Text spielt), habe er sich in den Dingen der Liebe (griechisch:
ta erotiká
) unterweisen lassen; und dank ihrer habe er es in diesem Fach zu einiger Meisterschaft gebracht. Deshalb beruft er sich bei allem, was er über die Liebe zu sagen hat, auf sie. Und er erwähnt, dass sie es gewesen sei, die ihm erklärt habe, der Eros bzw. die Liebe sei diejenige Kraft oder Energie im Kosmos, die dafür Sorge trage, „dass das Ganze mit sich selbst verbunden ist“. Was für ein Satz!
Dieses Verbundensein erscheint mir wie ein Wunder. Wir sind nicht allein. Wir sind keine „fensterlose
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