Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
Romeo bis Werther, von Tristan und Isolde bis Katharine Clifton und Lázló Almásy – in der großen Liebesliteratur des Westens wimmelt es von Liebenden, die lieber sterben mochten, als die leibliche Trennung zu erleiden. Ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist, aber fest steht doch: Solange wir nach umfassender, auch körperlicher Einheit verlangen, bleibt Verliebtsein immer ein tragisches Unterfangen. Eros ist tatsächlich eine tragische Figur, weil er sich unablässig nach Vereinigung sehnt und doch unablässig unter Trennung leidet. Die Vereinigung, die er schenkt, bleibt immer flüchtig, vorübergehend. Auf jedes Verschmelzungserlebnis folgt die Trennung. Und auf das Leben folgt der Tod. Wer wüsste besser als du, wovon ich rede. Du hast dich damals von mir getrennt. Und dann musstest du dich vom Leben trennen. Nachdem ich dich nun zweimal verloren und wiedergefunden habe, wissen wir beide: Trennungsschmerz und Liebeskummer gehören zum In-der-Liebe-Sein dazu. Sie sind der Preis, den wir für unsere Sehnsucht nach Einheit zu zahlen haben.
Trennungsschmerz und Liebeskummer hören nie völlig auf. Selbst wenn es mir je gelingen sollte, meine leidenschaftliche Liebe ganz dem Geliebten hinter allen Geliebten – Gott – zu widmen, so werde ich doch selbst mit ihm zu Lebzeiten nie bleibend vereint sein. Selbst wenn es mir gelingen sollte, in der Liebe die Dimension der Körperlichkeit immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen – so wie ich es bei dir gezwungenermaßen nun tun muss –, wird da doch immer das Leiden an der verwehrten Nähe und Präsenz unserer Seelen bleiben. Und dennoch habe ich eine Entdeckung gemacht: Je weiter wir in der erotischen Reifung voranschreiten, desto weniger wird uns der Trennungsschmerz bekümmern. Im Gegenteil, ich lernte ihn wertzuschätzen, ihn mit meiner Liebe zu umfassen. Nun will ich nicht mehr auf ihn verzichten, denn ich weiß, dass er echt ist und aus Liebe geboren; dass sich in ihm eine tiefeWahrheit bekundet, nämlich, dass wir mit denen, die wir lieben, aufs innigste verbunden sind – auch im Tod. Drähte, die glühen – die so sehr glühen, dass es wehtun kann.
Das ist es, was du mich gelehrt hast. Das ist es, was ich weitersagen möchte. Wir müssen unter Liebeskummer und Trennungsschmerz nicht leiden. Stattdessen können wir sie anerkennen als Teile unseres Lebens, sie umfassen und integrieren; wissen, dass In-der-Liebe-Sein heißt, das Leben in kräftigeren Farben zu leben, intensiver und bewusster, so dass selbst der Tod uns davon nicht abbringen kann.
Inzwischen schaue ich mit einem Lächeln zurück auf den Liebeskummer meiner Jugend, sogar auf den Trennungsschmerz, den ich als erwachsener Mann mit dir durchleiden musste. Ich verkläre dabei nichts. Ich weiß, wie sehr ich gelitten habe. Aber ich weiß auch, dass dieses Elend und dieses Leiden echt waren; dass damals der innerste Wesenskern meiner Seele litt und lebte; dass es in meinem Liebeskummer neben so manchen Ego-haften Einsprengseln auch eine intensive und authentische Komponente gab, so dass der Schmerz mich wachsen und reifen ließ.
Deshalb meine ich, dass wir uns vom Liebeskummer nicht schrecken lassen sollten. Er gehört dazu, wenn wir in die Liebe fallen. Es wäre schade, wenn wir aus Furcht vor ihm die Liebe scheuten. Denn dann würden wir nicht zu einem reifen und vollen und blühenden Leben in der Liebe finden, in dem wir der Erfüllung unserer innigsten Sehnsucht nach Eins-Sein immer näher kommen, weil wir die Geliebte hinter allen Geliebten deutlich erkennen werden: die Wahrheit des Lebens, die Seele der Welt. Ein Leben in der Liebe – das ist für mich die einzige wirkliche Religion und Spiritualität. Es ist die kraftvollste und lebendigste Religion, die es gibt. Wie der große Sufilehrer Ibn Arabi sagte:
„Ich folg’ der Religion der Liebe
,
wohin auch immer ihre Karawane zieht
,
denn Liebe ist mir Religion und Glaube.“
Für immer und ewig
Un amore come il nostro
non potrà finire mai.
Un amore come il nostro
non potrà morire mai
.
Riccardo Cocciante
Wir hatten keinen Zweifel: Diese Liebe währt auf immer. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sie je zu Ende geht. Wir spürten in der Tiefe unserer Herzens, dass sie uns noch über den Tod hinaus verbinden würde. Etwas in mir wusste es. Und diese Ahnung von Ewigkeit ist der Kompass meines Lebens.
Liebe ist stärker als der Tod, heißt es. Als wir ineinander verliebt waren, ahnten wir, dass das stimmt. Doch wussten
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