Hinreißend untot
Sache.«
»Wovon reden Sie da? Was ist los?«
Ich hörte nicht etwa Pritkin, sondern Tomas, sein schmerzerfülltes Stöhnen. Ich stellte mir vor, wie er gefesselt dalag und auf Jack, den Henker, wartete. Wenn ich die Augen schloss, sah ich eine andere Szene: Tomas in der Küche unseres Apartments in Atlanta, wie er mit gerunzelter Stirn am Herd stand. Er hatte ihm nicht die Brownies gebacken, die er zum Frühstück wollte, was daran liegen mochte, dass er das Ding nicht eingeschaltet hatte. Ich erinnerte mich daran, dass er eine meiner Schürzen getragen hatte, die mit der Aufschrift LÄSST SICH NICHT GUT MIT ANDEREN KOCHEN, über der Pyjamahose mit dem Smiley, die ich ihm gekauft hatte, damit er nicht ohne alles schlief. Wir hatten getrennte Schlafzimmer, aber der Gedanke, dass Tomas nur mit der Haut bekleidet in seinem lag, brachte mich nachts um den Schlaf. Ich hatte ihm erklärt, wie der Herd funktionierte, und anschließend verspeisten wir alle Brownies auf dem Blech, was meinen Blutzucker für den Rest des Tages in astronomische Höhen trieb.
Bei jener Gelegenheit hatte ich zum ersten Mal gehofft, dass er zu einer ständigen Einrichtung in meinem Leben wurde. Für sechs der glücklichsten Monate, an die ich mich entsinnen konnte, war er bereits mein bester Freund gewesen. Aller Widrigkeiten zum Trotz hatte ich damit begonnen, mir eine einigermaßen normale Existenz aufzubauen. Ich mochte mein helles Apartment, den herrlich überschaubaren Job im Reisebüro und meinen überaus attraktiven Mitbewohner. Tomas war wie ein wahr gewordener Traum gewesen: gutaussehend, zuvor kommend, stark und doch so verwundbar, dass er in mir den Wunsch weckte, mich um ihn zu kümmern.
Ich hätte an die alte Redensart über Sachen denken sollen, die zu schön waren, um wahr zu sein, aber ich hatte mich ganz darauf konzentriert, das vom Schicksal erhaltene Geschenk zu genießen. Schließlich stellte sich dieses Geschenk mehr als ein Fluch heraus, und das normale Leben als Illusion. All die rosaroten Träume waren um meinen Kopf herum in sich zusammengestürzt und hatten Wunden geschaffen, die noch nicht geheilt waren – es hatte sich noch nicht einmal Schorf auf ihnen gebildet. Plötzlich wurde mir klar, dass der Brownie-Zwischenfall erst einige Wochen zurücklag. Das schien unmöglich zu sein; es waren gefühlte zehn Jahre.
Pritkin schüttelte mich, aber ich merkte es kaum. Als ich die Augen öffnete, sah ich Jacks bleiches Gesicht und seinen irren Blick. Der Lieblingsfolterer der Konsulin liebte seine Arbeit, und er machte sie sehr, sehr gut. vermutlich hatte er viel von Augusta gelernt. Bei einer denkwürdigen Gelegenheit hatte ich ihn in Aktion gesehen, und deshalb war mir klar: Ich konnte Tomas auf keinen Fall seinen Händen überlassen. Ganz gleich, was er getan hatte, ganz gleich, wie wütend ich auf ihn war – so etwas verdiente niemand.
Alles deutete darauf hin, dass ich doch der tapfere Ritter auf dem weißen Ross sein würde, doch nicht einmal in meinen wildesten Träumen hätte ich gedacht, gegen eine solche Übermacht antreten zu müssen. Es gab so etwas wie eine heldenhafte Herausforderung, und dann gab es Selbstmord, und ich zweifelte nicht daran, in welche Kategorie das hier fiel. Wenn Tomas’ Hinrichtung eine öffentliche Show sein sollte, war bestimmt der größte Teil von MAGIE zugegen: Vampire, Magier, Wer-Geschöpfe, vielleicht sogar einige Elfen. Und wir mussten nicht nur an ihnen vorbei und Tomas der Konsulin unter der Nase wegschnappen; anschließend mussten wir uns auch noch den Weg zum Portal freikämpfen. Es war schlimmer als ein Albtraum; es war verrückt. »Wir haben ein Problem«, sagte ich zu Pritkin und unterdrückte den absurden Drang, diesen Worten ein Kichern folgen zu lassen.
Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Welches Problem?« Er presste die Frage zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, was zeigte: Er schien zu wissen, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. Gut; dadurch sparten wir Zeit.
»Billy sagt, die Korridore sind praktisch leer, weil sich alle im Vampirbereich befinden. Jemand soll hingerichtet werden, und das hat viele Zuschauer angelockt.«
»Wer soll hingerichtet werden?« Pritkins eisgrüne Augen starrten in meine, und ich lächelte schief, erinnerte mich dabei an die letzte Begegnung zwischen ihm und Tomas. Zu sagen, dass sie gute Kumpel waren, lag meilenweit neben der Wahrheit. Normalerweise versuchte man nicht, einen Freund zu enthaupten. »Ah,
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