Hinreißend untot
hysterisch darauf, dass es nicht fair wäre, erdrückt zu werden – ich war nur eine etwas zickige Seherin, keine böse Hexe –, als plötzlich wieder Ruhe einkehrte.
Ich spähte aus dem Innern des Mantels, aber es waren weder Zwerge noch Straßen aus gelben Ziegeln in Sicht. Dafür stand ein Haus in der Nähe. Meine verstaubten Augen brauchten einige Sekunden, um zu erkennen, dass das, was so völlig unpassend im Wüstensand stand, nicht etwa ein Farmhaus aus Kansas war, sondern ein Tätowierungsstudio mit fröhlich blinkender Leuchtreklame. Ich lag noch immer zitternd auf dem Boden, als sich die Tür öffnete und Pritkin und Mac herausgelaufen kamen. Sie sahen recht abschreckend aus, und dann fiel Macs Blick auf mich. Er juchzte auf, zog mich hoch und tanzten mit mir im Kreis, trotz des mit Blei gefüllten Mantels. »Cassie! Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie haben uns so …«
»Wohin zum Teufel seid ihr
verschwunden?«
Ich schluchzte und war sowohl erleichtert als auch fuchsteufelswild. Meine Faust traf Mac an der Brust, und ich bezweifelte, dass der Schlag sehr wuchtig gewesen war, aber sein Adler kreischte und pickte wütend nach meiner Hand. Ich schrie auf, wich zurück, stolperte und landete erneut auf dem Boden. Gerade hatte mich ein Vogel angegriffen, der nur tätowiert war und keine reale Existenz hatte. Trotz des Crashkurses am Nachmittag in Hinsicht auf hochentwickelte Schutzzauber schien mir das kaum möglich zu sein, doch der Schnabel hatte deutliche Spuren an meiner Hand hinterlassen.
Dann erwachte Sheba, und daraufhin kam es richtig dicke. Ich spürte, wie sich das unerbetene Pelzbündel an meinem Kreuz streckte, und als Mac sich über mich beugte, glitt Sheba über meinen Oberkörper und den Arm hinab. Überrascht blickte ich auf die rote Linie, die plötzlich an Macs Unterarm erschien. Trotz der geringen Größe ihrer Pfote war die Fleischwunde fast acht Zentimeter lang und so tief, dass sie genäht werden musste. Was noch schlimmer war: Ich wusste nicht, wie man Sheba zurückrief. Pritkin riss mich von seinem Freund fort und ließ schnell wieder los, bevor Sheba ihre Krallen in ihn bohren konnte. Zornig presste er die Lippen zusammen. »Hört auf mit dem Quatsch, und das gilt für euch beide! Bevor eure Schutzzauber richtig loslegen und ihr euch gegenseitig zerfetzt!« Ich sah auf meine Hand hinab, die jetzt einen schmerzhaften, fünf Zentimeter langen Riss aufwies, schnappte nach Luft und brachte hervor: »Bevor sie richtig loslegen?« Wie viel schlimmer konnte es denn werden? Wer wusste, was ich sonst noch gesagt hätte, aber ich bemerkte Billy über Pritkins Schulter und vergaß vorübergehend alles andere. Ich richtete einen zitternden Finger auf ihn. »Wo warst du? Es ist fast dunkel, und MAGIE befindet sich dort drüben!«
»Beruhig dich, Cass, es ist alles in Ordnung. Du solltest dein neues Tierchen zur Räson bringen, bevor es ernsten Schaden anrichtet.«
»Mein Schutzzauber hat sich überhaupt nicht gerührt.« Ich starrte Mac an, der damit beschäftigt war, seine Wunde zu heilen. Der Glückliche – ich würde meine für eine Weile behalten. Zwar war es Mac, der blutete, doch den finsteren Blick bekam ich von Pritkin. Das fand ich so was von ungerecht, dass mir der Atem wegblieb. Immerhin war ein großer Teil dieser Sache seine Schuld.
»Das bedeutet nicht viel«, sagte Mac. »Er ist höher entwickelt als diese anderen und spürt auch Absicht, aber ich wollte Ihnen nicht schaden.« Er hatte den Blutfluss gestoppt, doch ein roter Striemen blieb auf der Haut und schuf eine Lücke zwischen den tätowierten Blättern. »Es tut mir leid, Cassie – ich hätte Sie nicht anfassen sollen. Aber als Sie verschwanden … Wir wussten nicht, was wir davon halten sollten.«
Sie hatten also ihrerseits mich für tot gehalten. Macs Hinweis darauf, dass er besorgt gewesen war, beruhigte mich ein wenig, und hinzu kam die Erkenntnis, einem übermächtigen Feind nicht mehr ganz allein gegenüberzustehen. »Ich bin die ganze Zeit hier gewesen«, sagte ich mit zittriger Stimme.
»Ihr
seid verschwunden. Wohin?«
»Sie haben bemerkt, dass wir nicht mehr da waren?«, fragte Pritkin und runzelte die Stirn. Er sah Mac an. »Dann liegen wir falsch.«
»Nicht unbedingt.« Mac musterte mich aufmerksam. »Vielleicht wirken sich Zeitverschiebungen bei ihr nicht so aus wie bei allen anderen. Das könnte der Grund dafür sein, warum sie nicht an der Reise teilnahm, obwohl sie so nahe bei dir stand wie
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