Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
führte.
Seine Beine schmerzten und sehnten sich nach einer verdienten Rast. Aber jetzt noch einmal anhalten? So kurz vor dem Ziel? Dann doch lieber die Müdigkeit verdrängen und an etwas anderes denken. Am besten an Erlebnisse von früher. Das hatte noch immer geholfen …
Die Erinnerungen an die Vergangenheit waren in den letzten Jahren verblasst und brüchig geworden wie die vergilbten Seiten eines alten Buchs. Doch den Moment der eigenen Rettung hatte der Wanderer immer noch klar vor Augen, als hätten die Tritonen diese Dummheit erst gestern begangen.
Nun, man konnte es den Kiemenmenschen schlecht zum Vorwurf machen, dass sie dem schwer verletzten Mann, der im Schlund des Meeres versank, zu Hilfe geeilt waren. Zumal dieser Mann erst vor Kurzem einem der ihren das Leben gerettet hatte …
Taran erinnerte sich noch an jedes Detail. Wie jemand seinen leblosen Körper im Wasser packte und wieder an die Oberfläche zog. Wie man ihm eine Tauchermaske mit Atemgerät anlegte und ihn einer nassen Rekompression unterzog, indem man ihn wieder in die Tiefe lotste und ihn dann vom Meeresgrund langsam und kontrolliert wieder auftauchen ließ.
Dank der Bemühungen der Tritonen hatte der Stalker überlebt. Natürlich waren die Ereignisse nicht ohne Folgen für seine Gesundheit geblieben, doch die Ichthyander hatten sich als gute Krankenpfleger erwiesen, ihn mit einem Dach über dem Kopf und Nahrung versorgt und langsam wieder aufgepäppelt.
Seit jener denkwürdigen Nacht, als er sich zum ersten Mal ohne fremde Hilfe vom »Krankenbett« erhob, waren inzwischen achtzehn lange Jahre vergangen. An den Abenden hatte Taran oft lange am Ufer gestanden und in die Ferne geschaut. Irgendwo dort, hinterm Horizont, gab es die Antworten auf die Fragen, die ihm unter den Nägeln brannten. Hatten es Gleb und Aurora mit dem restlichen Treibstoff bis Sankt Petersburg geschafft? Hatte Alpheios gewirkt? Was war aus der Welt geworden?
Und dann, an einem dieser stillen, friedvollen Abende, hatte er es plötzlich gespürt. Dieses Gefühl, dass es an der Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Auf einmal scherte sich Taran nicht mehr um sein vorgerücktes Alter, ignorierte die ständigen Schmerzen in seinen kaputten Gelenken und brach kurz entschlossen nach Westen auf.
Sein Stalkerinstinkt führte ihn immer weiter, und alle Gefahren und Widrigkeiten, die unterwegs lauerten, machten einen großen Bogen um den einsamen Wanderer, wie zur Belohnung für seine Zähigkeit und seinen wiedererwachten Lebensmut.
Wie heißt es so schön: Viele Wege führen nach Rom. Und tatsächlich kam der alte Mann ans Ziel. Zwar nicht nach Rom, aber an einen kleinen See, der in einem dichten Waldgebiet lag. Alpheios-See nannten ihn Überlebende, die der Stalker unterwegs traf. Taran war die Gegend schon die ganze Zeit bekannt vorgekommen, und dann erinnerte er sich plötzlich an den Ort: Wegen der exorbitant hohen radioaktiven Strahlung wäre die Besatzung der »Ameise« hier seinerzeit beinahe ums Leben gekommen.
Gerüchte über die wundertätige Wirkung des in der Wildnis versteckten Gewässers hatten sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Gegend verbreitet. Als der Wandersmann die Siedlung erreichte, die sich am Ufer entlangzog, kannte er bereits die ganze Geschichte: Wie eines Tages ein Ekranoplan mit rauchenden Triebwerken auf dem vergifteten See notgewassert hatte. Wie dem für immer auf einer Sandbank gestrandeten Eisenvogel die künftigen Gründer der Siedlung entstiegen waren. Sogar ihre Namen kannte der Stalker: Gleb und Aurora. Nachdem die beiden hier aufgetaucht waren, hatte der See zu strahlen aufgehört, und mit der Zeit war auch die nähere Umgebung bewohnbar geworden. Die Radioaktivität zog sich immer weiter zurück, und von überallher strömten Überlebende herbei, um sich an dem idyllischen Fleckchen Erde niederzulassen.
Aber dehnte sich der Radius des unverstrahlten Gebiets nach wie vor aus? Entfaltete Alpheios immer noch seine erstaunliche Wirkung? Oder war die Mühe des Unterirdischen umsonst gewesen?
Taran schien es das Beste, sich diese Fragen für ein Gespräch mit seinem Sohn aufzuheben …
Während der Greis seinen Gedanken nachhing, hatte der Wald sich in eine weitläufige Wiese verwandelt, auf der säuberlich aufgereiht Heureiter lagen. Vom berauschenden Duft des frisch gemähten Grases konnte einem schwindlig werden. Vielleicht doch eine kleine Pause einlegen, um durchzuatmen und frische Kraft zu schöpfen …?
So verführerisch der
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