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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wie vor einem Grab des unbekannten Soldaten, sie haßte
     diese feste Körperhaltung, und überhaupt wäre es sehr verdächtig, wenn ein Mann einer Frau Haltungsschwäche unterstellte,
     sie ginge nicht gebeugt oder hinkte sogar, sie hätte es vorhin gehaßt, die Großtat eines Strumpfstickers bewundern zu müssen,
     es mußte sein. Es mußte sein.
    Ist irgend etwas an meiner Körperhaltung auszusetzen? sagte Ferda plötzlich, und wieso läßt du dich nicht mehr von mir küssen,
     hast du mich satt, ich kenne mich nicht gut aus in den Liebessitten deines Landes, habe ich irgendeine Parole auf eine Wand
     gekritzelt, hältst du mich für einen unanständigen Deutschen, dem du dich nicht mehr nachts hingeben magst, habe ich eine
     Bitte einen Wunsch ein Zeichen übersehen, habe ich ein Stoßgebet überhört, habe ich dich im Schlaf getreten, rieche ich schlecht
     aus dem Mund, und wenn nicht, wieso beißt du mir nicht mehr in die Oberlippe? … Der Komponist griff Ferda an die Schulter
     und zerrte ihn grob von seinem hübschen Kind weg, er flüsterte ihm ins Ohr, er sollte es nicht häßlich machen, er sollte sich
     nicht benehmen wie ein Esel in der Wiege. Das waren komische Worte für einen Mann, der gerade einer Frau Haltungsschäden vorgeworfen
     hatte, doch Ferda blieb nichts anderes übrig, als an seiner Seite zu gehen, denn der Vater des hübschen Kindes lockerte nicht
     etwa seinen Griff, er hielt ihn so lange an der Schulter,bis sie wieder ins Auto einstiegen. Das geplante Mittagessen in der Pizzeria fiel aus, natürlich bestrafte man ihn, weil
     er es gewagt hatte, auf einem öffentlichen Platz in barschen deutschen Worten zu sprechen. (Falsch: Er wurde bestraft, da
     der Komponist Imitationsartisten haßte, es störte ihn, wenn ihn, den ums rechte Benehmen Streitenden, ein Mann in seiner Nähe
     nachzuahmen versuchte. Sonst mischte er sich nicht in die Liebe seiner Tochter ein.)
    Sie fuhren einen kleinen und einen größeren Kreis durch die Stadtmitte, um schließlich vor einer renovierten alten Mühle anzuhalten,
     ein Künstler hielt den Frauen den Wagenschlag auf und führte sie alle in die Dachkammer. Sie hatten keine Zeit, sich umzusehen,
     denn der Künstler erklärte aus Rücksicht vor dem Deutschen auf englisch, daß zur Ausstellung seiner Bilder nur Freunde gekommen
     waren, die sich nicht einmal fünf Farbtupfer auf einem Bild leisten konnten. Als er vom Englischen ins Tschechische überging,
     rückte Ferda von der Gruppe ab und beschaute kurz die an der Wand angebrachten Stahlgitter, er empfand dabei keine Freude,
     er empfand eigentlich nichts, er strebte verlegen in die Nebenräume, aber auch dort hingen kalte technische Stücke, die ihn
     als Straßenschrott begeistert hätten, als verbogene verbrannte verätzte Elemente im Rinnstein. Er hörte hinter sich Kleiderrascheln,
     hoffte, drehte sich um, sah aber Lujza. Kaum warst du weg, da hat der Künstler von der verschnipten Gelegenheit gesprochen,
     sagte sie, hübsche Formulierung. Was bedeutet das? sagte Ferda. Verschnipt wie vertan, sagte sie, er meinte zwar das Kunstereignis,
     das die Menschen dieses Städtchens nicht zu würdigen wüßten. Er nennt sie Teichmolche, hübsches Wort. Er ist übrigens mit
     Vater und Tochter rausgegangen …
    Sie kam näher und näher, und als sie vor ihm stand, umfaßte sie seinen Kopf, zog ihn an den Ohren noch näher heran, und er
     ließ es geschehen, daß sie ihn küßte, ein zweites Mal,küßte, und noch einmal küßte, erst beim vierten oder fünften Kuß versteifte er sich, er sah die Ohrfeige kommen, und doch
     überraschte es ihn, daß sie ihn hart schlug. Einmal. Zweimal. Es half nichts, daß er sie anknurrte, sie antwortete mit einem
     Höllenraunen, ein langgezogener Laut, und sie versuchte ihn ein drittes Mal zu schlagen, er wich ihr aus, und da tat sie etwas
     Verrücktes. Sie riß ein Stahlgitter von der Wand und warf es nach ihm, doch er sprang hinter eine Säule, und mit zwei weiteren
     Sprüngen stürmte er aus dem Raum, rannte die Treppen hinunter und hinaus auf den Vorhof der Mühle. Sie hat mich angefallen,
     rief er Aneschka zu, und jetzt zerstört sie die Kunstwerke. Kaum hatte sie dem Künstler davon erzählt, lief er fluchend hinein,
     sie setzten sich wie auf ein Zeichen in Bewegung, sie würden Lujza zurücklassen, sie hofften, daß man ihr Benehmen beibrachte.
     Nein falsch, das war allein der Wunsch des Komponisten, der während der ganzen Rückfahrt vor Wut seine Nasenspitze

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