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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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würden nur noch vierzehn Schritte fehlen? Hatte der Aktivist, dem man wenige Monate
     später eine Plastiktüte über den Kopf stülpen würde, im Keller einer Betonruine, weit draußen jenseits der Vororte … hatte
     der Aktivist eine häßliche, aber notwendige Tat begangen? Der Anschlag galt niemand Bestimmtem, er sollte – um im Jargon der
     Organisation zu sprechen – das Vertrauen der Bürger in den Staat erschüttern. Keine Toten.
    Das Weckglas zerbrach. Es schrillte in ihren Ohren. Deshalbkonnten sie die Frau nicht hören, sie stand am Fenster und fragte laut, ob sie Hilfe brauchten. Die Brüder saßen einfach
     nur auf der Bordsteinkante und glotzten auf den Gummiring und die verbogene Klammer, die noch am Glasdeckel hing, und als
     die Frau Asul sanft an der Schulter berührte, erschreckte sie ihn sehr. Sie folgten ihr in die Wohnung, sie sagte, sie müßten
     ihren Schock herausfließen lassen, erst verstanden sie sie nicht, obwohl sie fast schrie, dann begriffen sie und wurden verlegen,
     und weil sie Asul an der Schulter drückte, ging er vor. Konga schloß sich für lange Zeit ein, und in diesen Minuten zitterten
     die Maisseidenbarthaare ihres Vorhangs, und es war keine Wolke zwischen ihnen, für eine Umarmung war es aber noch viel zu
     früh, die schöne Fremdheit zwischen ihnen wäre abhanden gekommen. Fremd war er ihr, fremd war sie ihm nicht.
    Ich muß es fragen, sagte sie, ihr habt damit nichts zu tun, oder? Nein, sagte Asul, es gibt keine Kraft mit bindender Wirkung,
     keine spezielle Sicht für uns. (Und schon wieder der Versuch, bloß keine Hügelwildenvokabeln zu benutzen, auch dann nicht,
     wenn man am liebsten fluchen würde, fluchen über den Dreckskerl, der von großen Dingen träumte und das Blut der anderen als
     ein Ding ansah.) Also hat es wieder begonnen, flüsterte sie, Asul konnte ihr weder recht geben noch ihr widersprechen, denn
     er hatte nur gesehen, daß sie ihre Lippen bewegte, das Schrillen hatte ihre Worte übertönt. Jetzt erzählte er ihr fast schreiend
     von seinem Ungeschick und zeigte ihr einen gerissenen Henkel der Plastiktüte. Man wüßte nie so recht, was die Witwe vom Ziegelscherbenhaufen
     ausheckte, wenn sie leer ausging, doch sie hatten um einen kurzen Aufschub der Frist gebeten, Konga hätte bei dem Elektronikherrn
     telefonieren dürfen – kannte sie ihn? Er ist der Greis, der etwas Ungeheuerliches gesehen haben will, sagte sie, und Asul
     wurde enttäuscht, da sie ihm die ganze Geschichte vorenthielt. Er fühlte die Gegenwart seines Brudershinter seinem Rücken, Konga glotzte die Holzmasken an der Stirnwand des Wohnzimmers an und überlegte, ob diese Frau, mit
     der sich Asul auf dem Fährschiff unterhalten hatte, ihnen gefährlich werden konnte: Die erstarrten Gesichter auf dem Grund
     der Rosentapete waren kein Ausweis einer neutralen Gesinnung. Ich lehre Völkerkunde, sprach sie zu ihm, und das sind Fälschungen,
     ich halte sie für schöne Schmuckstücke …
    Jetzt endlich traute sich Konga, das Wort an sie zu richten, wie ist es in der Nacht, sagte er, wie ist es, wenn Sie durch
     das dunkle Zimmer gehen, weil Sie der Nachtdurst quält, wie ist es, von diesen finsteren Fratzen angegrinst zu werden? Was
     hängt denn bei Ihnen an der Wand? fragte sie zurück. Ein Abrißkalender, sagte Asul, eine Uhr, die immer stehenbleibt, man
     muß sie alle drei Stunden aufziehen, das ist aber die Mühe nicht wert, und an der Präsentierstelle der Wand hängt das Hochzeitsfoto
     unserer Eltern, den Rahmen haben wir selbst gebastelt … Sie hörten die Sirenen der Polizei- und Ambulanzwagen, sie hörten
     ihre Nachbarn die Treppen hinunterpoltern, sie würden am Straßenabschnitt des Terrors so lange ausharren, bis die Reporter
     eintrafen, und was die Kamera erblickte, war wahr, also würden ihre über die Schultern des Reporters ragenden Köpfe für eine
     halbe Minute die halbe Minute und die halbe Wahrheit ihres Alltags überragen. Fast war sie versucht, den Brüdern einen Rat
     zu geben: Geht wieder hinunter und stellt euch auf, eure Angehörigen und Bekannten in eurem Viertel werden euch im Fernsehen
     entdecken, und es wird sie beruhigen. Statt dessen streckte sie die Hand aus und nannte ihren Namen, Tamara, die Brüder beeilten
     sich, ihr die Hand zu geben, draußen die Angst, hier drinnen die Scham, zwei Männer und eine Frau, es galt, sich als ordentliche
     Gäste zu verhalten, sie hatte Asul und Konga zwar mehrmals aufgefordert, Platz zu nehmen, doch

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