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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Meisters. Eine Widerrede an diesem Abend des Wiedersehens kam nicht in Frage, ich
     konnte nicht über Aneschka und über meine Ausbildung zum Schuhmacher sprechen, also erzählten sie von der Wertsteigerung der
     Immobilien, das teure Hotel war fertiggestellt worden, und seitdem hatten sie Anrufe von Maklern bekommen, der Kauf einer
     Wohnung in näherer Umgebung des Hotels galt als vernünftige Investition.
    Nach dem Essen packte ich meinen Koffer aus, ich hängte die Hemden über verbogene Drahtbügel, ich stopfte die frischen Unterhosen
     und Strümpfe in eine leere Schublade des Arbeitstisches, den man an die Wand geschoben hatte, um für das Klappbett Platz zu
     schaffen, und dann übergab ich meiner Mutter zwei Briefumschläge mit je zwei großen Geldscheinen. Sie bezogen eine knappe
     Rente, sie hatte Zucker, er litt an Herzrhythmusstörungen, einmal im Monat aßen sie draußen Hamburger und Pommes, ich war
     ihnen keine große Hilfe. In diesem kleinen Zimmer werde ich also die nächsten Nächteschlafen, dachte ich und trat zum Rauchen auf den Balkon, es roch nach verbrannter Holzkohle und nach einer alten Stadt.
     Auf dem Balkon der Dachgeschoßwohnung gegenüber sog eine junge Frau immer wieder an ihrer Zigarette, und jedesmal, wenn sie
     die Asche abklopfte, machte sie sich klein und nestelte nervös an den Blusenschulterpolstern. Das mußte die Putzfrau sein,
     von der man sich in dieser Straße erzählte, sie wäre vom Vater an einen sechzigjährigen Mann vermittelt worden, und eigenartigerweise
     hätte sie ihn bedrängt, diese Ehe zu arrangieren. Die Frauen, die sie zum Saubermachen dingten, rieten ihr davon ab. Sie sollte
     ihr Herz verschließen und das Geld beiseite legen, die Frau regierte den Mann, und ein Greis war aber unregierbar. Jetzt entdeckte
     sie mich und winkte mir zu, als ich aber zurückwinkte, warf sie die brennende Zigarette über die Brüstung und floh in die
     Wohnung. Ich hörte meine Mutter hinter mir auflachen, sie ist wenigstens keine Muttermörderin, sagte sie, und ich fiel in
     ihr Lachen ein. Im ganzen Land sprach man dieser Tage über die mordenden Töchter aus gutem Hause, eine Frau hatte den Anfang
     gemacht und sehr schnell Nachahmerinnen gefunden, mittlerweile waren fünf Mütter eines häßlichen Todes gestorben. Natürlich
     sprachen die Psychologen von Affekthandlungen, natürlich lagen sie damit falsch. (Kein Intellektueller in den türkischen Großstädten
     Istanbul, Ankara und Izmir würde eine andere Meinung vertreten – es gilt als schick, den Toten für tot und den Mörder für
     nicht mörderisch zu halten. Gut und böse: Kinderglaube. Ein gewendeter Intellektueller wird aber irgendwann, wenn man ihm
     denn die Aufmacherseite des Kulturteils freiräumt, von seiner neuen Volksnähe erzählen. Was meint er damit? Freier Verkehr
     der Waren und gottgefügtes Oben und Unten.)
    Der Hausmeister hatte mir die Koffer hochgetragen und mich als der junge Herr des Hauses angeredet, nun sah ich ihn unten
     an der Gartenmauer lehnen und verträumt die Krähenund die Katzen betrachten. Die Männer von der Müllabfuhr streuten das Gerücht, es wären die Anarchistensöhne dieses reichen
     Viertels, die die spätabends vor die Bordsteinkante gestellten Plastiksäcke zerbissen und zerrupften. Nicht das Getier, aber
     das Gemensch würde sich in Abfall vergreifen. Das Gemensch kaufte Silvesterraketen und brannte Feuerwerk ab in den Stunden,
     da die Bürger schliefen – das Gemensch, das schworen die Müllmänner, waren die Universitätslinken, ihnen trauten sie jede
     Gemeinheit zu. Hasan, der gute Hausmeister, wußte um die Wahrheit, er wußte, daß die Katzen und Krähen hinter Büschen und
     Kaminen verschwanden, wenn der Müllwagen die steile Hauptstraße hochfuhr, um dann in ihre Straße abzubiegen. Er wußte auch,
     daß der Hund des jungen Herrn, der auf dem Balkon stand, im Heizkeller gut aufgehoben war, bald wäre der Vater besänftigt
     und würde ihn in der Wohnung dulden, und in wenigen Wochen gehörte es bestimmt zu seinen Aufgaben, den Hund … nein, die Hündin
     auszuführen. Die Absichten der Putzfrau aber konnte er nicht ergründen – was genau führte sie im Schilde? In Gegenwart anderer
     Dörfler in der Stadt verhielt sie sich unangemessen. Seine Frau hatte sie zur Rede stellen wollen, und sie hatte ihr plötzlich
     die Wange getätschelt, das tat man nicht, wenn man selbst vom Dorfe kam. Sein Sohn war Anhänger der Fußballmannschaft, deren
     Spieler

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