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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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sehr
     beeindruckt. Hast du dich mit dem Gesindel angefreundet? sagte sie, und weil ihm ihre scherzhaft gemeinte Bemerkung kein Lachen
     entlockte, fügte sie hinzu, daß sie selbst der Creme des Gesindels angehörte, sie putzte in Zügen, zu ihren Arbeitsrequisiten
     gehörten ein schwarzer Wassereimer, eine schwarze Mülltüte und eine Bürste mit roten Borsten. Falsche Worte. Falsche Einzelheiten.
     Draußen die Hündin, ihre Zitzen verschmutzt, sie stülpten sich aus ihrem Bauch wie große Muttermale. Er streichelte sie, sie
     ließ es zu, Haare von ihrem Fell trug der leichte Wind davon. Dann verhandelte er viel zu lange mit einem netten gläubigen
     Taxifahrer, der sich erst einmal weigerte, einen Straßenköter durch Istanbul zu chauffieren, was brächte es ihm ein, fromm
     und gütig zu sein, wenn er nach der Fahrt Rücksitz und Fußraum saubersaugen müßte, was wäre wirklich sein Gewinn, und der
     Fahrgast sollte ihm gefälligst die Antwort nicht schuldig bleiben. Nichts, sagte der Schuster, kämen Sie meiner Bitte nach,
     bliebe Ihre Seele trotzdem ungeschont. Das schien den Mann zu beeindrucken, und er breitete die Wirtschaftsseiten seiner Zeitung
     auf dem Rücksitz aus, die Hündin wollte ihm das Gesicht lecken, er ließ es geschehen und strich mit dem Jackettärmel über
     Stirn und Wangenknochen, und dann fuhren sie zu dritt durch die Stadt.
    Eine Weile schwieg er und prüfte nur im Rückspiegel, daß die Hündin auch ruhig blieb, er hatte den Schuster vor dem Einsteigen
     darum gebeten, sie davon abzuhalten, seinensonnenverbrannten Nacken zu lecken. Dein Hund ist nicht aus der Unterwelt hervorgekrochen, sagte er plötzlich, ich bin mir
     da ziemlich sicher – die entscheidende Frage lautet: Was findet sie an dir? Oder hast du ihn seinem Besitzer geraubt? Um Gottes
     willen, nein, rief der Schuster aus, die Hündin ist mir zugelaufen, ich werde ihr den Napf füllen, und wir werden Freundschaft
     für zwei Tage schließen, ich besuche meine Eltern in Ankara … Er würde seine Mutter zu überzeugen versuchen, diese Hündin
     in die Familie aufzunehmen, sie hatte weißblonde Wimpern und vielleicht zwei oder drei Zecken im Fell, keine große Sache,
     sie stubenrein zu erziehen, bestimmt knurrte sie nur, wenn man zu schnelle Bewegungen machte oder sie in einem Zimmer in der
     Wohnung einsperrte.
    Kaum stieg er aus, hörte er jemanden vom Dunkel des Turmschattens ihn rufen, und als er mit der Hündin … mit Belinda in dies
     Dunkel trat, sah er den Schwiegersohn von Herrn Erkan auf der Parkbank sitzen, er starrte die Hündin eine Weile an und fragte
     aber nicht nach. Sie knurrte kurz, und als der Schuster ihm übers Fell strich, beruhigte sie sich und fiel auf die Flanke,
     jetzt konnte er, der von einem räudigen Köter Angeknurrte, der von Wein Eingestimmte, endlich frei reden, vor diesem Schuhsohlenklopfer
     war es ihm möglich, und Timur sprach, er sprach von dem etwa siebenundsiebzig Meter hohen Turm, er sprach von Achmed Tschelebi,
     vor Jahrhunderten hatte er sich Adlerflügel angeschnallt und vom Südwind davonwehen lassen, und nach der Legende wäre der
     Sultan über die Außerkraftsetzung der Ordnung derart erschrocken gewesen, daß er Tschelebi fast hinrichten ließ, aber auch
     nur fast, ein Luftsprung erschütterte den Herrscher. Und vielleicht hätte der Schreck, der über die Monate nicht verklingen
     wollte, ihn dazu verleitet, seinen Erstgeborenen von zwei Taubstummen töten zu lassen. Der Wahn, die Angst als die Quelle
     des Wahns. Hielte er, der Mann aus Deutschland, ihn für einen Getriebenen? Ich weiß nicht, sagte der Schuster,ich werde in diese Geschichte gegen meinen Willen hineingezogen, dabei bin ich ohne Ehrgeiz …
    Er hielt sich zugute, den Schwiegersohn nicht beschämt zu haben, es war zu spät, um ihn aufzurichten, der Talisman, der in
     seiner Faust glühte, gab ihm Trost, er sah Katzenköpfe in der Dunkelheit und Phosphoraugen, die Hündin … Belinda schlief zu
     seinen Füßen, ein Schauer jagte über ihre Flanke. Zwischen zwei Dächern stieg dünner Rauch auf, es war die Zeit, da die Kastanienröster
     ihre Kohlenbecken frisch bestückten, und bald würden die Hodschas der kleinen Moscheen langsam die Wendeltreppe im Minarett
     hochsteigen, das Mikrofon zuhalten, ihre Kehle freiräuspern und dann das Gebet ausrufen. Timur aber war der ungeratene Verwandte
     des Herrn Erkan, obwohl er noch zu seinem Glauben stand, brach er unter der Last der eingebildeten Sünden

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