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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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bloßem Oberkörper draußen in der Kälte herum und fluchte in Edmunds Hörweite. Vielleicht war dem Jungen gar nicht bewusst, was er tat, aber er forderte Gott auf, ihn zu erlösen, weil er sich außerstande sah, es selbst zu tun. Er taumelte zwischen dem natürlichen Lebenshunger eines Knaben und der Todessehnsucht eines Verzweifelten. Und je schlimmer es um ihn stand, desto größer wurde seine Ungeduld, endlich den Burgturm betreten zu dürfen.
    »Alle meiden ihn wie ein Spukhaus«, spottete er, als sie die Zugbrücke überquerten, die keine mehr war, weil die Ketten zerbrochen im Graben lagen. »Warum?«
    »Weil er genau das ist«, erwiderte Losian grimmig.
    King Edmund und Oswald hatten wieder einmal versucht, Brot zu backen, und heute war es ausnahmsweise fast gelungen. Die Fladen, die sie zustande gebracht hatten, waren stellenweise ein bisschen verkohlt, aber essbar. Simon trug einen davon in der Hand, Losian einen Krug Wasser. Heute war er an der Reihe, Regy das Essen zu bringen. Es gab Tage, da wünschte er, er hätte hier nicht für alle Aufgaben eine strikte Reihenfolge eingeführt und es sei so wie früher das Los der Schwächsten, die unangenehmsten Pflichten zu erfüllen.
    Seite an Seite stiegen sie die steile Motte und die Treppe zur Halle hinauf. Als sie die Eingangstür des Turms erreichten, wollte Simon den linken Flügel öffnen, aber Losian streckte die freie Hand aus und legte sie an den Torpfosten, sodass sein Arm eine Barriere vor der Brust des Jungen bildete. »Jetzt hör mir genau zu, Simon. Dieser Mann dort drin ist gefährlich. Möglicherweise wird er versuchen, dein Mitgefühl zu erregen, aber lass dich nicht blenden. Er hat Menschen gequält und getötet. Nur zum Spaß. Er ist angekettet, aber du darfst ihm niemals den Rücken zukehren. Du darfst nicht für einen Lidschlag unachtsam sein. Denn er brennt darauf, auch dich und mich zu töten. Hast du verstanden?«
    Simon starrte ihn mit großen Augen an und nickte.
    Losian verharrte einen Moment vor der Tür und sammelte sich. Dann zog er den schweren Torflügel auf und trat ins dämmrige Innere.
    Von der prächtigen Halle, die gewiss einmal der Stolz des Burgherrn gewesen war, konnte man nicht mehr viel erkennen. Der Dachstuhl war kaum mehr als ein nacktes Gerippe, nur auf der Ostseite befanden sich noch ein paar Schindeln. Der Rest der Halle war seit Jahren den Elementen ausgeliefert. Die Holzdielen waren vermoost und morsch, fehlten teilweise ganz, sodass man in die dunklen, leeren Vorratsräume unter der Halle blicken konnte. Das hatte den Vorzug, dass es hier immer reichlich frische Luft gab, denn es stank wie in einem Raubtierkäfig.
    Simon wich instinktiv zurück, als der Geruch ihm in die Nase stieg, schaute sich dann aber neugierig um. Losian richtete den Blick auf die Schatten an der Ostseite. Erst als er die zusammengesunkene Gestalt entdeckte, die dort reglos an einen der massiven Stützbalken gelehnt auf dem nackten Boden hockte, betrat er die Halle.
    »Regy. Ich bringe dir Brot.«
    »Und ein ausnehmend hübsches Stück Arsch, wie ich sehe«, antwortete eine Stimme auf Normannisch. Sie klang aufgeräumt, beinah übermütig, aber ein leichtes Näseln verlieh ihr einen herablassenden Unterton.
    Losian warf Simon einen kurzen Blick zu und sah die Scham auf seinen Wangen brennen. »Das ist Simon de Clare«, erklärte er und achtete darauf, dass sein Tonfall nichts preisgab, woraus Regy Kapital hätte schlagen können.
    Langsam trat er näher, und Simon wich nicht von seiner Seite.
    »Es ist mir eine Ehre, de Clare«, versicherte die Gestalt. »Reginald de Warenne.«
    Simon sah aus, als habe er herzhaft in einen faulen Apfel gebissen. Losian schloss, dass Regys Name ebenso berühmt war wie Simons.
    Aber so leicht wollte der Junge sich offenbar nicht einschüchtern lassen. Er trat einen Schritt vor und verneigte sich mit der Hand auf der Brust. »Die Ehre ist die meine, Monseigneur.«
    Regy lachte. Er hatte sein Gesicht immer noch nicht gezeigt, sondern hielt den Kopf zwischen den Knien, sodass nur ein wildes Gestrüpp aus Haaren und Bart zu sehen war. Arme und Beine waren nackt, aber Regy, wusste Losian, fror niemals. Was immer es war, das ihn trieb, loderte so heiß in seinem Innern, dass es ihn warm hielt.
    »Mir will scheinen, ich habe dich länger nicht gesehen, Losian«, bemerkte Regy im Plauderton. »Und wie geht es unserem verlorenen Sohn heute, hm?«
    »Danke.«
    »Das heißt: Danke, mir geht es prächtig, Regy? Oder

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