Hiobs Brüder
an zu keuchen, krümmte sich und versuchte erfolglos, sich auf die Knie aufzurichten. Gerade als die Panik sich seiner bemächtigen wollte, spürte er eine Hand auf dem Arm.
»Schsch. Nur die Ruhe, mein Sohn«, hörte er eine Stimme murmeln. Kräftige Arme umschlangen ihn von hinten, eine Hand strich ihm über die Stirn.
Simon erstarrte vor Schreck und versuchte, über die Schulter zu erkennen, was für eine Kreatur es war, die ihn gepackt hielt, aber er konnte den Kopf nicht weit genug drehen, und außerdem war es fast dunkel im Torhaus.
»Schsch. Atme. Gleich wird es besser, du wirst sehen.«
Es war eine gütige Stimme. Simon entspannte sich ein wenig, ließ sich in die Umarmung zurücksinken und betete, dass er nicht ausgerechnet jetzt einen Anfall bekommen möge.
Allmählich wurde es besser. Die Erstickungsangst verging, und er atmete wieder ruhiger. Schließlich packten die Hände ihn unter den Achseln und hievten ihn auf die Füße. Im nächsten Moment wurde der Knoten des widerwärtigen Lumpens gelöst, mit dem sie ihn geknebelt hatten.
Simon spuckte aus, rieb sich den Mund an der Schulter und drehte sich um. »Danke.«
Er fand sich Auge in Auge mit einem hageren Angelsachsen in einem zerschlissenen Mönchsgewand. Der Mann war jünger, als das graue Haar und der weiße Zottelbart auf den ersten Blick schließen ließen, vierzig vielleicht, und die blauen Augen funkelten wie vor jugendlichem Übermut. Seine Haltung war ein wenig gekrümmt, so als habe er zu viel Zeit über fromme Bücher gebeugt verbracht.
»Alle fangen hier so an wie du, weißt du«, sagte er. »Alle liegen am Tor und heulen. Aber so schlimm ist es gar nicht, glaub mir. Man gewöhnt sich daran. Wie ist dein Name, mein Sohn?«
»Simon de Clare.«
»Ah! Von edelstem normannischem Geblüt. Eine Ehre für uns, eine Ehre. Willkommen auf der Insel der Seligen, Simon de Clare.«
»Ich dachte, sie heißt die Insel der Verdammten«, entgegnete Simon.
Aber der Angelsachse schüttelte den Kopf. »So nennen sie sie dort draußen«, antwortete er und ruckte abschätzig das Kinn zum Burgtor hinüber. »Wir hier drinnen wissen es besser.«
Simon nickte, aber er war keineswegs überzeugt. »Und wie ist dein Name?«, fragte er.
»Ich bin der heilige Edmund«, stellte der Angelsachse sich vor. »Aber du kannst mich King Edmund nennen, das tun hier alle. Wir legen keinen großen Wert auf Förmlichkeiten.«
Simon spürte, wie das vorsichtige Lächeln auf seinem Gesicht gefror. Irre. Dieser Kerl war vollkommen irre. Wie alle hier. Was für ein Narr er doch war, dass er auch nur für einen Augenblick Hoffnung geschöpft hatte. Er räusperte sich mühsam. »Und wirst du mir die Fesseln abnehmen, King Edmund?«
Der zeigte ein spitzbübisches Lächeln. »Sobald ich weiß, wie gefährlich du bist.«
»Oh, keine Bange«, gab der Junge bitter zurück. »Ich bin völlig harmlos.«
»Wenn du das glaubst, kennst du dich selbst schlecht, Simon de Clare. Kein Mann ist harmlos. Weswegen bist du hier?«
Simon wandte das Gesicht ab. Die Schande brannte wie Galle in seinem Innern, an der vertrauten Stelle gleich hinter dem Brustbein. »Darüber möchte ich lieber nicht sprechen«, brachte er gepresst hervor.
»Das kannst du halten, wie du willst«, gab King Edmund gleichmütig zurück. »Aber es besteht kein Grund, dich zu schämen. Jeder von uns hier hat einen Makel. Genau wie die da draußen, nur ist er bei uns vielleicht ein bisschen augenfälliger. Doch wenn du hier eines lernen kannst, dann, dich dessen, was du bist, nicht zu schämen.«
Simon schnaubte, um nur ja nicht wieder anzufangen zu heulen. »Ich glaube, das wird mir verdammt schwerfallen, King Edmund.«
Der zwinkerte ihm zu. »Das macht nichts. Du hast ja den Rest deines Lebens Zeit. Und wenn ich dich noch einmal fluchen höre, mein Sohn, dann wirst du’s bereuen, du hast mein Wort.«
Der leutselige Ton hatte sich ebenso wenig geändert wie das verschmitzte Lächeln, aber plötzlich spürte Simon einen Schauer seinen Rücken hinabrieseln. Hatte er einen Widerschein des Wahnsinns in den blauen Augen des Angelsachsen aufleuchten sehen? Oder hatte er es sich nur eingebildet, weil es eben das war, was man hier zu sehen erwartete? Simon, der mehr als sein halbes Leben unter den vorgefassten Meinungen anderer Menschen zu leiden gehabt hatte, misstraute seinem eigenen Urteil.
»Ich bitte um Entschuldigung, heiliger King Edmund.« Sorgsam hielt er jeden Anflug von Hohn aus seiner Stimme, nickte dem
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