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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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Kollege Ivan meint, das Zeug kommt vom KGB . Egal, es ist jedenfalls ziemlich alter Mist.«
    Sie betreten ein graues Zimmer, das nach dem überquellenden
Aschenbecher auf dem Fensterbrett riecht, der zwischen staubigen Kakteen und
braun gewordenen Blattpflanzen steht.
    Dr. Luschenko öffnet eine Schreibtischschublade. »Voilà«, sagt
sie und hebt ein Notebook aus seinem Versteck. »Privatbesitz.«
    Sie fährt den Laptop hoch.
    »Sie sind wegen des alten Mannes gekommen«, sagt sie. »Ich habe
schon mal ein wenig recherchiert. Warten Sie. Da ist es.«
    Sie zündet sich eine Zigarette an und liest vor: »Alexej Schalimow,
geboren am 21. November 1925 in Kiew. Am 3. Juni 1943 zwangsweise
rekrutiert und vom Hauptbahnhof Kiew aus mit dem Zug ins Deutsche Reich
verschleppt. Zuerst nach Berlin und von dort aus in den Süden, Brannenburg
heißt der Ort. Er hat dort in zwei landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet,
zusammen mit fünf weiteren Ukrainern, drei Polen und zwei Weißrussen. Aljoscha,
Dimitri, Grigorij … ach, was interessieren uns jetzt alle diese Namen.«
    Luba starrt sie fassungslos an.
    »Wundern Sie sich nicht, Kindchen. Wir sind zwar offiziell eine Stiftung,
keine Behörde, aber auch nicht schlecht informiert. Bei uns laufen allerhand
Informationen zusammen. Zigarette?«
    Luba schüttelt den Kopf. »Ich verstehe nicht, wieso Sie über all diese
Informationen verfügen. Alexej hat in der Zone gelebt und sie zwanzig Jahre
nicht verlassen.«
    »In der Zone? Da haben Sie die Karte her? So lebensmüde sehen Sie
gar nicht aus, Kindchen.«
    »Ich bin nicht deswegen in die Zone gefahren. Ich fahre jedes Jahr
rein. Mit dem Motorrad. Es ist nicht gefährlich, wenn man die Straßen nicht
verlässt.«
    »Dann haben Sie die Karte auf der Straße gefunden?«
    Luba schweigt.
    »Na, ist ja auch egal, womit Sie Ihre Freizeit verbringen. Ist das
Ding auch verstrahlt?«
    »Wollen Sie die Karte essen? Woher wissen Sie so gut über Alexej
Bescheid, wenn er doch nie hier bei Ihnen war?«
    »Er nicht, aber seine Tochter. Sie hat die Unterlagen gebracht und
dann das Geld abgeholt.«
    »Sie wissen sicher auch, wie viel es war.«
    »Ja, natürlich. Wir sind nun mal Bürokraten, Schätzchen. Es waren
genau 2.523 Euro. Ausbezahlt an Tatjana Schalimowa, am 5. März 2005.«
    »Alexej und Mila haben überhaupt keine Tochter, nur einen Sohn.«
    »Vielleicht war’s die Schwiegertochter.«
    Dr. Luschenko spielt mit dem breiten Goldring an ihrem linken
Mittelfinger. Ihre schlanken Beine hat sie elegant übereinandergeschlagen. Die
Schuhe sind vielleicht italienisch. Gepflegte Hände mit lackierten
Fingernägeln.
    »Hören Sie, Kindchen, es ist doch gut, wenn jemand das Geld abholt.
Sonst verfällt es nur. Alles, was nicht abgeholt wird, weil der Betreffende
verstorben ist, nicht zu uns kommen kann, keine Papiere mehr hat et cetera,
geht zurück nach Deutschland. Die Leute bekommen ja auch nicht üppig viel. Oder
finden Sie zweitausendfünfhundert Kröten ausreichend für vier Jahre
Zwangsarbeit und die Angst, von den Kommunisten dafür in den Gulag geschickt zu
werden? Oder dass man das Geld an die deutschen Kriegsverbrecher zurückgeben
sollte, wenn einer es nicht mehr abholen kann?« Dr. Luschenko zündet sich
die nächste Zigarette an.
    »Ich finde es nicht in Ordnung, wenn jemand anderer als Alexej oder
seine Frau das Geld abgeholt hat. Die beiden hätten es weiß Gott gebrauchen
können. Für Lebensmittel, für Medikamente.«
    »Jetzt beruhigen Sie sich. Wie war noch mal Ihr Name?«
    »Luba.«
    »Luba, hören Sie. Der Alte ist tot.«
    »Er hieß Alexej.«
    »Gut. Alexej ist tot. Er hat Ihnen etwas vererbt. Deshalb sind Sie
hier. Also, raus mit der Schatzkarte, damit wir endlich anfangen können.«
    Luba geht zum Fenster.
    »Vorsicht, die Biester sind gefährlich.« Dr. Luschenko deutet
auf die Staubkakteen.
    Luba hört, wie sie sich eine neue Zigarette anzündet. Allmählich
bekommt sie in der stickigen Luft Kopfweh.
    »Wieso tun Sie das eigentlich? Wieso wollen Sie mir helfen? Was
versprechen Sie sich davon?«
    »Ich geb’s zu, ich hab’s vermasselt. Sie trauen mir nicht mehr. Sie
denken, ich sei korrupt.«
    »Sind Sie’s?«
    »Ich würde das nicht so nennen, Luba. Wo arbeiten Sie?«
    »In einer Fabrik.«
    »Was tun Sie da?«
    »Fische zu Konserven verarbeiten.«
    »Aha, interessant. Und? Sind Sie dort glücklich? Verdienen Sie gut?«
    »Was soll die Frage?«
    »Darf man das nicht mehr fragen? Mit fünfzig noch viel

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