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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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sich
wirklich etwas Besseres leisten.
    Von Reichenberg wählt Jurijs Nummer.
    »Hör zu, dein Kurier hat sich aus dem Staub gemacht. So wie’s aussieht,
nicht nur mit meinem Geld, sondern auch mit deinem.«
    »Meine Wunderwaffe ist praktisch schon unterwegs.«
    »Wunderwaffe?«
    »Geht dich nichts an, Partner, halt dich da raus, ja? Du solltest in
nächster Zeit vorsichtshalber in Deckung gehen, wenn die Blüten den Markt
überschwemmen. Dann wird’s vielleicht ein bisschen heiß für dich, da mitten in
Deutschland.«
    »Ich werde sowieso bald Urlaub machen.«
    »Gute Idee. Wo denn?«
    »Meine Frau will dieses Jahr unbedingt nach Bayern. Sie sagt, sie
war noch nie in den Alpen und kennt die Berge bisher nur aus dem Fernsehen …«
    »Wieso langweilst du mich, Reichenberg? Ich habe hier zu tun, stell
dir vor. Geh aus der Schusslinie und halt dich einfach aus allem raus,
verstanden?«
    Jurij legt auf.
    Weiß er, wo Wiktor hinwill? Wohin schickt er seine Wunderwaffe? Von
Reichenberg zupft sich an der Nase und reinigt sie mit Hilfe des spitz
zugefeilten Nagels seines rechten kleinen Fingers.
    Als Mandy um vier Uhr morgens aus der Bar nach Hause kommt, sitzt er
immer noch rauchend am Küchentisch. Ein halbes Dutzend leere Bierflaschen sind
wie ein Zaun vor ihm aufgebaut.
    Sie entledigt sich ihrer rot-schwarz geprägten Pumps, geht an ihm
vorbei zum Küchenfenster und reißt es auf.
    »Hier stinkt es ja wie in der Bahnhofswirtschaft«, sagt sie. »Warum
schläfst du nicht, Mäuschen? Was machst du hier mitten in der Nacht?«
    Sie stellt ihre rote Ledertasche mit den vielen klimpernden silbernen
Herzanhängern am Reißverschluss auf einem der Küchenstühle ab.
    »Machst du mir das Kleid auf?« Sie dreht von Reichenberg den Rücken
zu und geht etwas in die Knie.
    Der schiebt ihr den dünnen roten Stoff über den Hintern hinauf und
packt grob ihre Pobacken, die unter der hautfarbenen Strumpfhose mit dem
Bändchen ihres roten Stringtangas wie ein verschnürtes Päckchen aussehen.
    »Au, du tust mir weh.« Mandy presst ihren Po gegen seine Hände,
lässt sich dabei ins Hohlkreuz fallen und wirft lasziv den blonden Pagenkopf
nach hinten. Das muss sie in einem Pornofilm gesehen haben, denkt von
Reichenberg. Sie macht es ziemlich gut, findet er.
    »Wird Zeit, dass wir beide mal wieder Urlaub machen«, raunt er.
    »Oh ja, lass uns nach St. Tropez oder Nizza fliegen. Wir waren
so lange nicht mehr da. Oder nach Paris. Linda war erst zu Silvester dort.
Wollen wir?« Mandy setzt sich auf seinen Schoß und schlägt die Beine
übereinander.
    Sie riecht nach Dior, aber mindestens ebenso intensiv nach Schweiß und
Zigarettenrauch, vermischt mit etwas Hochprozentigem. Und nach dem Spüllappen,
mit dem sie in der Bar den Tresen wischt. Als hätte sie es selbst auch gerade
gerochen, beginnt sie, sich die Hände zu reiben.
    »Ich dachte da an etwas anderes.« Er deutet auf das Blatt Papier auf
dem Küchentisch und den aufgeschlagenen Diercke-Atlas.
    »Was? Bayern? Was soll das denn? Das meinst du doch nicht im Ernst,
oder?«
    »Pack deine Sachen.« Von Reichenberg kneift sie in den Po und
schiebt sie von seinem Schoß. »Morgen früh fahren wir los.«

Saratow, 1957
    Wenn man mit den Fingerkuppen über das Fensterbrett streicht, bohren
sich Lackplättchen unter den Fingernagel. Kondenswasser tropft von den Scheiben
und sammelt sich in der ausgestemmten Rinne des Fensterbretts. Wind und Regen
drücken durch die undichten Fenster. Eine Frau wimmert. Hört nicht auf damit,
stöhnt, irgendwann ist endlich Stille im Raum. Piep, piep, piep, piep, piep,
piep tönt es aus dem Radiolautsprecher, und ein Nachrichtensprecher erklärt,
dass dies die Töne des ersten von Menschen ins Weltall geschossenen Objekts
seien. Es ist ein Satellit, in dessen Inneren ein Sender steckt, der Funkwellen
zur Erde sendet, um der gesamten Welt davon zu künden, dass die Sowjetunion,
ihre Ingenieure und Arbeiter, den Sieg im Wettlauf um die Eroberung des
Weltalls errungen haben.
    Es ist der 4. Oktober 1957. Ein Kind schreit. Einen Augenblick
lang hatte der Gynäkologe seinen Kopf zum Lautsprecher gedreht. Jetzt
untersucht er das Neugeborene, das gesund ist und gierig nach der Brust seiner
Mutter verlangt. Seine Mutter, die Physikerin Carmen López, ist seit drei
Jahren in Saratow an der Wolga und hat dort die Bekanntschaft von Jurij Gagarin
gemacht. Jurij ist verheiratet und trotzdem Vater von Wladimir López, dem
Neugeborenen.
    Vier Jahre später geht Wladimir in

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