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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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den Kindergarten, und keiner
glaubt ihm, wenn er stolz erzählt, dass der berühmte Kosmonaut Jurij Gagarin
sein Vater ist. Wladimirs außergewöhnliche Begabung wird schon in der Schule
erkannt. Sie besteht darin, seinen Körper in besonderer Weise zu beherrschen.
Er wird gefördert und steht mit zwölf Jahren im Handstand auf dem Barren, die
Beine waagrecht abgewinkelt holt er Schwung und balanciert die Beine senkrecht
im Handstand. Er trägt eine weiße Hose mit Gummibändern an den Füßen, straff
über seine Beine gespannt. Nach wenigen Sekunden der Bewegungslosigkeit fällt
der Körper parallel zu den Holzbarren, dreht sich um die eigene Achse, die
Hände lösen sich vom Holm, und gleichzeitig dreht sich der ganze Körper um
hundertachtzig Grad in der Längsachse, bevor die Beine nach einem Aufschwung
wieder senkrecht nach oben schnellen und Wladimir im Handstand verharrt. Seine
Kameraden und der Trainer klatschen, als er das Gerät mit einem doppelten Salto
verlässt.
    Wladimir dreht sich zu seinen Kameraden und lacht, wie er es gelernt
hat, um Richter und Publikum in einem Wettbewerb für sich zu gewinnen. Er hat
nicht vergessen, dass keiner ihm glaubte und er niemandem erzählen darf, dass
er der Sohn des Helden Gagarin ist. Selbst als sein Vater vor sechs Wochen
beerdigt wurde, durfte er nicht ans Grab, um sich wie seine Stiefschwestern von
ihm zu verabschieden.
    Gagarin hier, Gagarin dort. Er kann es nicht mehr hören. Immerzu
hört Wladimir vom großen Helden der Sowjetunion. Das Einzige, was Wladimir von
seinem Vater hat, sind die Erzählungen seiner Mutter und die Erinnerung an die
wenigen Male im Jahr, die sein Vater zu Besuch kam. Dann liefen sie zusammen
durch den Schnee oder spielten Fußball, bevor er zu seiner Mutter in die Wohnung
ging, und er, Wladimir, allein draußen weiterspielen musste. Wenig Zeit mit
seinem Vater, und die musste er sich auch noch mit seiner Mutter teilen. Aber
wenn er da war, dann hatten sie es schön miteinander. Sein Papa, der Held, der
Kosmonaut. Wladimir will auch Kosmonaut werden, wenn er groß ist, auf alle
Fälle ein Held, ein richtiger Held, auf den Papa und Mutter stolz sein werden.
    Stundenlang sitzt er im Gymnastikraum und stemmt die Hanteln, läuft
jeden Tag zehn Kilometer durch den Wald, bei jedem Wetter, und friert nur die
ersten fünfhundert Meter, dann wird ihm warm, und er kämpft sich durch. Und er
läuft und läuft, wie eine Maschine, wie ein Apparat. Immer so schnell er kann,
und wenn er denkt, seine Lungen glühen, dann weiß er, dass ein Held nicht
aufgeben darf, und läuft weiter. Wenn er spürt, dass seine Muskeln in den
Oberschenkeln zu brennen beginnen, dann läuft er weiter. Er läuft und läuft,
und wenn er sein Pensum geschafft hat, lässt er sich einfach fallen. Sobald er
wieder zu Kräften gekommen ist, sein Atem sich normalisiert, seine Muskeln sich
entspannen, erscheint ein Lächeln in seinem Gesicht, denn er hat das Gefühl,
seinem Ziel, ein Held zu werden, ein bisschen näher gekom- men zu sein.
    Mit vierzehn wird er aus dem Kader aussortiert. Niemals wird er
Olympiasieger werden, egal, wie hart er trainiert. Für einen Turner ist er zu
groß. Die Hebelverhältnisse seines Körpers passen nicht hundertprozentig. Auch
für andere Sportarten ist sein Körper nicht ideal, er ist entweder zu muskulös,
zu schwer, zu leicht, zu groß oder zu klein. Trotzdem ist Wladimir ein
Spitzensportler, ein Hochintelligenter, und er kommt auf eine Eliteschule und
wird Offizier, hervorragend ausgebildet. Kampfsport, Klettern, Laufen, Sprachen,
Geschichte, Kulturen, überall findet er sich zurecht.
    Er verliebt sich in seine kubanische Spanischlehrerin. Sie lacht ihn
aus, als er ihr im Morgengrauen erklärt, er wolle mit ihr in Kuba leben. »Wir
können uns für ein paar Minuten oder Stunden lieben, aber nicht länger, denn
unsere große Liebe ist der Sozialismus und das Vaterland.« So erklärt sie
Wladimir ihre Gefühle im Februar 1984. Im Juli des gleichen Jahres fliegt sie
zurück nach Kuba, und Wladimir liebt den Sozialismus und das Vaterland wie kein
anderer. Alles tut er, um die Entwicklung des Sozialismus zu unterstützen, in
Afrika, in Europa, in Asien. Alles, um die Sowjetunion zu verteidigen. Er tötet
nicht aus Lust, sondern nur wenn es sein muss. Wenn er den Befehl dazu bekommt.
    Wladimir ist die schärfste Waffe der ersten Abteilung des KGB geworden. Er spricht fünf Sprachen, ist
Universitätsprofessor, Kaufmann oder Diplomat, Bergsteiger oder

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