HISTORICAL Band 0272
ebenso sehr wie er sie. Dessen war James sich sicher. Nein, er war weder verblendet noch eingebildet. Er hatte lediglich ihre Reaktionen genau beobachtet. Es gab keinen Grund, warum sie in „Abstinenz“ leben sollten, wie sie es formulierte. Es gab Möglichkeiten der Empfängnisverhütung. Und er zweifelte nicht daran, dass jede Frau im Umkreis von fünfzig Meilen, ausgenommen seine eigene, über diese Methoden Bescheid wusste. Und sie vermutlich auch praktizierte.
Er öffnete die Eingangstür, warf sie mit Wucht ins Schloss und machte dann so viel Lärm wie möglich. „Susanna! Ich bin wieder zu Hause“, rief er und stampfte absichtlich laut auf seinem Weg in die Bibliothek.
Müßig setzte er sich in den großen Polstersessel und lauschte, während ein Dutzend Frauen aufgeregt schwatzend die Treppe hinuntereilte. Er hörte eine atemberaubende Mischung von gälischen, schottischen und englischen Wortfetzen.
Als Susanna in die Bibliothek trat, stand er auf. Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Zögernd ging sie ihm entgegen und streckte die Hand nach ihm aus. Er nahm sie in den Arm, küsste sie auf ihre weiche Wange und dann, ganz kurz nur, auf den Mund. Sie roch dezent nach Rosen. Und sie fasste sich wunderbar an …
Das Lachen, mit dem Susanna sich ihm entwand, klang verlegen. „Willkommen daheim, James. Ich habe Neuigkeiten für dich. Ich hoffe, du bist nicht böse deswegen.“
Das hoffe ich auch, dachte James. „Ach ja? Was denn, wenn ich fragen darf?“
„Ich habe ein paar Sachen von Drevers hinüber nach Galioch bringen lassen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“ Sie biss sich auf die Lippen und sah ihn besorgt an.
„Was hast du denn hinbringen lassen?“, erkundigte er sich neugierig.
„Ein paar Möbelstücke“, meinte sie. „Hier steht so viel Überflüssiges herum. Und, äh … ich habe in Galioch die Wände tünchen lassen.“
„Galioch – getüncht?“ Ungläubig starrte James Susanna an. Das konnte doch nicht sein … die Burg – getüncht? Er zwinkerte. Vor seinem inneren Auge stand Galioch – in ein rosafarbenes Ungetüm verwandelt.
„Es war nicht teuer“, verteidigte sich Susanna, die Angst hatte, dass James ihre Verschönerung als überflüssige Geldausgabe ansehen würde. „Ich habe nur drei Zimmer frisch streichen lassen – ich hätte gerne eines davon als Schlafzimmer. Der Blick aus dem Fenster ist bezaubernd, und ich mag die dunklen Holzbalken in den Zimmern. Morag hat die verblassten Wandgemälde aufgefrischt, die zum Teil noch zu sehen waren. Sie hat wirklich Talent. Würdest du dir Galioch gerne mit mir ansehen?“
James winkte ab. „Es ist schon fast dunkel, Susanna. Morgen ist auch noch ein Tag. Hör mal, wir unterhalten uns weiter, wenn ich im Teich gebadet habe.“
„Im Teich? Du willst im Teich baden? Aber oben im Herrenschlafzimmer steht eine Badewanne. Ich werde Kait sagen …“
„Kait?“
„Kait McLemore. Ich habe sie als Hausmädchen und Zofe eingestellt. Sie fragte mich, ob ich weibliches Personal bräuchte.“
„Gut. Aber du musst sie nicht bemühen. Ich werde im Teich baden“, beschied er.
„Aber … aber, James, es ist höchst unschicklich, dich … äh … dich auszuziehen. In der Öffentlichkeit …“
„Bis ich unten am Fluss bin, ist es dunkel“, erklärte er. Außerdem würde das Wasser eiskalt sein. Das Letzte, was er brauchen konnte, war ein schönes warmes Bad. Danach würde er nur noch mehr Verlangen nach Susanna verspüren.
Er zog die Post aus der Weste hervor. „Hier. Du kannst ja die Briefe deines Vaters lesen, während ich bade. Wir können uns darüber unterhalten, was er schreibt, wenn ich zurück bin.“
Ohne auf ihre Antwort zu warten, eilte er nach draußen. Wenn er zurückkam, würde er für den sanften Rosenduft, der von Susanna ausging, nicht mehr so empfänglich sein.
Susanna warf die Briefe auf den Arbeitstisch und ließ sich in den Sessel fallen, aus dem James gerade aufgestanden war. Sie stützte die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte und legte ihr Kinn in ihre Hände. Ein Seufzer entrang sich ihrer Brust. Was sollte sie nur machen? Wie ein Wilder im Freien zu baden … James hatte einfach keinen Anstand!
Zweifellos war er dreist genug, sich in der Öffentlichkeit splitterfasernackt auszuziehen.
Ihre Gedanken verwirrten sich, als sie daran dachte, was er gerade tat. Wenn sie ihn nur nicht schon nackt gesehen hätte, als er verwundet worden war. Jetzt bekam sie das Bild seines
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