HISTORICAL Band 0272
muskulösen Körpers nicht mehr aus dem Kopf. Jetzt, in der einsetzenden Dämmerung, würde James trotz seiner Sonnenbräune bleich, fast weiß wirken. Und das schwindende Abendlicht würde die Muskelstränge auf seinen Armen und seinem Oberkörper betonen. Er würde aussehen wie eine nasse Marmorstatue, so wie die Statuen der alten Griechen und Römer, die sie auf den Landsitzen der Freunde ihres Vaters gesehen hatte.
Am liebsten wäre sie ihm nachgeschlichen und hätte ihm beim Baden zugesehen. Hatte sie seinen Körper in Gedanken verklärt? Oder war er wirklich so attraktiv? Sie atmete tief ein, als sie daran dachte, was ihn … untenherum … noch von den Statuen, die sie kannte, unterschied.
Dann rief sie sich zur Räson. Sie sollte nicht über solche Dinge nachdenken. Um sich abzulenken, zündete Susanna die Öllampe an, die neben ihr stand, und nahm einen der Briefe in die Hand, die ihr Vater an James und sie adressiert hatte. Ungeduldig brach sie das Siegel auf der Rückseite auf.
Enttäuscht überflog Susanna die wenigen Zeilen, die ihr Vater in seiner leicht nach rechts geneigten dünnen Kanzleischrift niedergeschrieben hatte. Der Brief hatte kaum mehr Inhalt als das Telegramm, das er ihnen nach Edinburgh geschickt hatte. Aber offenbar hatte er zwischenzeitlich einen Detektiv angeheuert, der das Attentat untersuchen sollte. Zum Schluss wünschte er ihr und James für die Zukunft alles Gute.
Nachdenklich ließ Susanna den Brief sinken. Meinte ihr Vater, was er schrieb, wenn er ihnen alles Gute wünschte? Oder war es nur Höflichkeit? Susanna wusste, dass er wegen ihrer Kampagne für Eigentumsrechte verärgert und besorgt um sie war. Aber wenn ihr Vater sie wirklich schätzen würde, hätte er sie unterstützt, davon war sie überzeugt. Traurig legte sie den Brief beiseite und öffnete den zweiten.
Schon nach wenigen Zeilen wurde ihr klar, dass die in diesem Schreiben enthaltenen Neuigkeiten James nicht begeistern würden. Schuldbewusst gestand sich Susanna ein, dass auch sie selber nicht entzückt war über das, was ihr Vater ihnen zumutete. Aber sie würde gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Schon damit James ihre Gäste nicht von der Schwelle wies.
Egal, was über die Gastfreundlichkeit der Schotten erzählt wurde, Susanna hatte mittlerweile begriffen, dass die Kreise der Highland-Schotten geschlossene Gesellschaften waren. Fremde waren hier nicht willkommen, insbesondere, wenn sie englische Ausländer, Sassanachs , waren. Auch wenn die Kriege zwischen den beiden Nationen längst Vergangenheit waren, Schotten wie Engländer hatten sie nicht vergessen. Susanna hatte das kaum verhüllte Misstrauen, dass ihr, der Engländerin galt, schon in Edinburgh sehr wohl gespürt. Oberflächlich waren alle freundlich zu ihr gewesen, aber dennoch gab es eine spürbare Distanz. Sogar zwischen ihr und James. Obwohl er charmant und tolerant war, manchmal sogar ermutigend, war er doch sehr verschlossen.
Dennoch hätte Susanna ihm ihr Leben anvertraut. Er würde nie zulassen, dass ihr etwas geschah, selbst wenn er das nur ihrem Vater versprochen hatte, schon weil er ein Ehrenmann war. Und: Er hatte sie geheiratet, obwohl sie Engländerin war.
In der Ferne wurde eine Tür geöffnet und geschlossen. Susanna hörte, wie James aus der Eingangshalle in die Bibliothek trat. Als sie ihn anblickte, um ihm die Briefe ihres Vaters auszuhändigen, verschlug es ihr die Sprache.
Kleine Wassertröpfchen tropften von James’ nassen Locken auf seine nackte Brust und Schulter. Er trug kaum mehr am Leib als seine Stiefel. Um seine Hüfte hatte er ein blaugrün kariertes Plaid geschlungen und mit einem breiten Ledergürtel festgezurrt. Ein weiteres Wolltuch hatte er sich über die Schulter geworfen. Es baumelte lose über seinen Rücken.
Sie presste die Hand auf ihre Brust. Ihr Herz schlug rasend schnell. Fast meinte sie, bei seinem Anblick ohnmächtig werden zu müssen.
„Was ist?“, fragte er und sah sie scharf an.
„Du … du tropfst auf den Boden“, stammelte sie.
Er zuckte mit den Schultern. Dann griff er nach dem losen Ende des Wolltuchs und rubbelte damit seinen Oberkörper trocken, während er nackt bis zur Hüfte war und seine Haut feucht glänzte. Ihr Atem stockte. Sie konnte kaum den Blick von ihm wenden, sodass sie wie angewurzelt stehen blieb.
„Was hat dein Vater geschrieben?“, erkundigte er sich beiläufig.
Mit einer enormen Willensanstrengung wandte Susanna den Blick von ihm ab. Mit geheuchelter
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