Historical Collection Band 02
wachen. Wenigstens heute Nacht würde er sie behüten können.
Und morgen würde er sie gehen lassen müssen.
Aisling kämpfte um Schlaf, doch der wollte einfach nicht kommen. Sie sah, dass Tharand Wache hielt, und ihr war klar, dass er nicht schlafen wollte.
Wie widersprüchlich das war: Er hatte sie als seine Gefangene hergebracht, doch die ganze Zeit über hatte er sie nicht wie eine Gefangene behandelt.
Sie schloss die Augen. Vor ihr erstand das Bild, wie er sie vor einem seiner Männer beschützt hatte. Letzte Nacht hatte er ihr seine wollene Decke gegeben, noch warm von seinem Körper. Auf dem Ritt hatte er sie dicht an sich gedrückt … und sie gelehrt, was es hieß, zu begehren.
Mit seinem Kuss hatte er das Bild zerstört, das sie sich von ihm gemacht hatte. Er küsste nicht wie ein Verführer, sondern wie ein Mann, der sich nach der Berührung einer Frau verzehrt. Und heute Nachmittag, als sie ihn freiwillig umarmt hatte, war ihr der Boden unter den Füßen entglitten. Sie wollte ihn küssen, obwohl das doch nicht richtig sein konnte, da er sie geraubt hatte. Sie müsste ihn verachten.
Und dabei schien er bereit, sein Leben für sie zu geben. Er belauerte jeden Mann, als hielte er ihn für eine Bedrohung. Als wäre sie ein Schatz, den es zu hüten galt, und nicht eine Sklavin.
Diese Gefühle bestürzten sie. Eigentlich dürfte sie nichts fühlen für diesen Fremden, der sie geraubt hatte, besonders nicht diese ungewohnte Versuchung, diese Sehnsucht danach, ihn zu küssen.
Sie presste ihre Beine zusammen, was das schmerzhafte Sehnen ihres Körpers verstärkte. In sündigen, wollüstigen Bildern sah sie vor sich, wie sein kraftvoller Körper sich über dem ihren bewegte, sich seine Hüften gegen sie drängten, er sie ausfüllte.
Ihr Atem ging schneller, und sie umklammerte die Decke. Morgen in der Frühe würde er sie verlassen, und sie würde ihn nie wiedersehen.
Aber da war noch die heutige Nacht. Eine Gelegenheit, diesen Hunger zu stillen, der sie trieb, ihn zu verstehen.
Obwohl er ein Wikinger war, besaß er ein starkes Ehrgefühl. Und sogar als er ihren Körper gegen ihren Willen zu ungeahnten Wonnen führte, hatte er es für sie getan.
Vielleicht waren das die Gründe, warum sie das Messer nicht gegen ihn erhoben hatte.
Entschlossen setzte sie sich auf, zog die Knie an und legte ihre Hände darauf. Sieh mich an, bat sie stumm, denn die Antwort würde sie in seinen Augen finden.
Wie magisch angezogen, wandte er ihr den Kopf zu. Seine ganze Haltung drückte schwere Bedrängnis aus. Er wandte die Augen nicht von ihrem Anblick ab. Sie löste ihr Haar.
„Was machst du, Aisling?“
Sie stand auf und streckte ihm ihre Hand entgegen. Wie eine Fremde im eigenen Körper fühlte sie sich, kannte sich selbst kaum noch. Denn sie wollte jetzt eins nur – eine Nacht ohne Reue.
Tharand erhob sich, nahm ihre zarte Hand beschützend in seine große und folgte ihr aus dem Raum. Der Sturm hatte sich gelegt, doch eine dünne Schicht Schnee bedeckte den gefrorenen Boden.
„Ich will mit dir allein sein.“
Mit einer Hand umfing er ihren Nacken und lehnte seine Stirn gegen die ihre. „Du gehörst mir nicht.“
Ihr wurde klar, dass seine Zurückhaltung nicht auf fehlendem Verlangen gründete, und sie schöpfte ein wenig Hoffnung. „Nach dieser Nacht werde ich dich nie wiedersehen.“
„Nein.“
Behutsam legte sie ihm ihre Arme um die Schultern und schmiegte sich an ihn. „Wer ist sie, Tharand? Diese Frau, die du suchst.“
Er zögerte, doch als sie ihn auf den Mund küsste, murmelte er an ihren Lippen: „Meine Schwester.“
„Ist sie die Bettgefährtin des Königs?“
„Sie ist seine Geisel. Und sie ist erst fünfzehn“, knurrte er. Dicht zog er Aisling an sich und schmiegte sich an ihren weichen Körper.
„Du versuchst, sie zu retten, indem du mich für sie eintauschst?“
Als er die Schultern sinken ließ, war ihr das Antwort genug.
„Du könntest uns beide retten“, schlug sie vor. „Lass mich dir dabei helfen.“ Sie wollte einfach nicht glauben, dass er so leicht aufgeben würde, dass es keine Hoffnung gab.
Noch dichter zog er sie an sich; sein warmer Atem strich über ihre Wange. „Ich wünschte bei den Göttern, dass es möglich wäre. Aber ich bin der Hauptmann der Krieger in Vedrarfjord. Magnus würde Verrat nicht ungestraft lassen.“
„Könntest du deine Schwester nicht unbemerkt wegbringen?“
„Das habe ich schon versucht.“ Wieder sah sie den düsteren, gehetzten
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