HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
Heim wieder aufbauen, falls die Yankees etwas stehen gelassen hatten, jedoch wozu? Um dort allein mit Tante Lea zu leben? Allein mit nichts als Erinnerungen? Nein, eine derartige Existenz fasste sie nicht ins Auge.
Shanna würde niemals heiraten; denn sie hatte keine Liebe mehr, welche sie hätte verschenken können. Der junge Mann, mit dem sie verlobt gewesen war, wurde in den Krieg geschickt. Er ging mit tapferem Lächeln und einer Umarmung. Er war ein Teil ihres bisherigen, unbeschwerten Lebens gewesen. Wie bei den guten Familien in New Orleans üblich, hatte man die Heirat arrangiert, als sie erst zwölf gewesen war. All die Jahre, in denen sie sich auf ein Leben als Ehefrau und Mutter vorbereitet hatte, waren binnen zweier Monate zunichte gemacht worden. Der erste Schmerz über diesen Verlust war kaum gelindert, als ihr Bruder im folgenden Jahr ebenfalls sein Leben für den Süden gab.
Der Tod hatte alle Mitglieder der Familie der de Lancel nacheinander ereilt! Diesen Furcht einflößenden Gedanken konnte Shanna nicht aus dem Kopf vertreiben. Er peinigte sie Tag für Tag, Nacht für Nacht. Jetzt hatte er auch ihren Vater geholt. Wann war sie an der Reihe?
„Es ist vorbei, Kind. Glaubst du etwa, Tante Lea lässt zu, dass dir irgendetwas Böses geschieht? Habe ich nicht für dich in Baton Rouge gesorgt? Und in New Orleans?“
Ein leises Lächeln huschte über Shannas blasse Wangen, als sie sich zu der Frau umdrehte, welche leise das Zimmer betreten hatte. Wie lange hatte Tante Lea schon da gestanden und sie beobachtet? Shanna wusste nur selten, was hinter diesen tiefschwarzen Augen vorging, welche ihr bis in die Seele schauen konnten.
„Ich bin nicht allein, nicht wahr, Lea? Nie werde ich allein sein, solange du bei mir bist“, sagte sie. Ihre Lippen bebten, wenn sie daran dachte, was sie seit ihrer Flucht aus New Orleans alles durchgemacht hatten. Tante Lea hatte sie dort vor den Yankee-Soldaten gerettet und später noch einmal auf der Plantage außerhalb von Baton Rouge, als der Trupp über den Rasen und durch die Gärten geritten war und sich Eingang ins Herrenhaus verschafft hatte. Wie hatten die Yankees gelacht, als sie feststellten, dass die Plantage nur von zwei Frauen und einer Handvoll Neger verteidigt wurde. Die Hälfte der Dienerschaft war beim Anblick der blauen Uniformen sofort weggelaufen. Tante Lea hatte für Shanna getötet. Wenn nicht, hätte sie diesen grauenvollen Tag wohl kaum überlebt.
Die Mulattin nahm Shanna liebevoll in die Arme. Man hatte sie ins Heim der de Lancels gebracht, als sie zwanzig war. Das zitternde Mädchen in ihren Armen war damals zehn Jahre alt gewesen. Zwei Jahre später war Shannas Mutter gestorben. Danach war Lea Shannas ständige Begleiterin, Ratgeberin und Vertraute geworden.
In den zehn Jahren ist Tante Lea überhaupt nicht gealtert, dachte Shanna, als sie jetzt ins Gesicht der Farbigen blickte. Keine Falte, kein Fleck verunstaltete die honigfarbene glatte Haut in dem lieben Gesicht. Lea trug eine leuchtend rote Bluse und einen ebensolchen eng anliegenden langen Rock, dazu Sandalen an den nackten Füßen. Das glänzende mahagonifarbene Haar steckte unter einem weißen Tuch, das vorn über der Stirn zu einem Knoten geschlungen war.
Vielleicht stimmte es sogar, obwohl die Diener darüber nur zu flüstern wagten: Lea sei die Tochter einer Voodoo-Priesterin und habe das Geheimnis ewiger Jugend von ihrer Mutter erlernt. Lea verstand so viel von Heilkunst und war so weise, dass Shanna dieses Gerücht immer für wahr gehalten hatte.
„Die Dunkelheit weicht dem hellen Tag.“ Lange, schlanke Finger strichen über Shannas Wange. Wie immer tröstete sie diese Berührung. „Es ist an der Zeit, dass du ein neues Leben beginnst. Du kannst die Vergangenheit nicht ungeschehen machen; aber jetzt musst du wieder anfangen zu leben – für dich!“
„Ja.“ Shanna akzeptierte die Weisheit dieser Worte, welche die Mulattin ihr während der vergangenen Woche jeden Tag gesagt hatte. „Ich war wirklich ein schlechter Gast. Was müssen die Ambervilles nur von mir denken?“
„Ab morgen wird alles anders, ma petite. Jetzt hole ich dir einen guten Kräutertrank, damit du schläfst. Morgen früh fangen wir ein neues Leben an, n’est-ce pas?“
„Ja, Tante Lea. Morgen“, versprach Shanna.
Shanna wurde von einem Donnerschlag aus tiefem Schlaf gerissen. Trotz der geschlossenen Vorhänge konnte sie den darauf folgenden grellen Blitz sehen, der den Raum sekundenlang in ein
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