HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
einen grauenvollen Kater haben, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Es sieht nach einem schönen Tag aus, Lea. Ich werde heute unten frühstücken. Gibt es einen Platz, wo ich im Freien sitzen kann?“
„Auf der Veranda kannst du die Morgensonne genießen. Ich bringe dich hin, und dann lasse ich dir von Hannah etwas besonders Leckeres zubereiten. Es wird Zeit, dass wir etwas Fleisch auf deine Rippen bekommen und du wieder wie eine Frau und nicht wie ein mageres Mädchen von siebzehn aussiehst.“
„Ich werde nächste Woche einundzwanzig!“, protestierte Shanna. Tante Lea war der einzige Mensch, dem sie gestattete, so mit ihr zu sprechen; aber die Gute hatte recht. Obwohl ihr Haar jetzt einigermaßen ordentlich aussah und das hellblaue Kleid ihre zarten Rundungen betonte, war sie zu dünn und sah in der Tat viel jünger aus, als sie war.
Einundzwanzig. Eine erwachsene Frau – und doch keine Frau. Niemand füllte die Leere in ihr aus, nichts ließ die grauen Augen strahlen oder brachte einen Hauch Rot auf die blassen Wangen.
Shanna war von der langen Reise aus Atlanta zu müde und zu gramgebeugt gewesen, um das Haus der Ambervilles bei ihrer Ankunft genau zu betrachten. Sie erinnerte sich vage an eine lange, von Bäumen gesäumte Auffahrt, von denen Flechten herabhingen, an weiße Säulen, die im grellen Sonnenlicht leuchteten, großzügig breite Veranden und schmiedeeiserne Balkone an den oberen Stockwerken, zu denen sich ein dichtes Gewirr von Geißblatt und purpurroten Bougainvilleen emporrankte.
Vom Innern des Hauses wusste sie nur noch, dass sie über eine breite Treppe nach oben in ihre Zimmer gegangen war, sonst nichts. Am meisten beeindruckt hatte sie der Friede, welcher hier herrschte. Nach dem Lärm in den Zügen war die Stille wohltuend gewesen. Im Abteil hatte sie während der Reise zwischen Alexander Amberville und einer schrecklich dicken Frau eingezwängt gesessen, die unentwegt über den Krieg und ihr persönliches schweres Schicksal sprach, als hätten nicht alle anderen ebenfalls Leid zu ertragen. Beinahe hätte Shanna die Nerven verloren. Alle sprachen immer nur über den Krieg!
Als General Sherman die Konföderierte Armee zurück nach Atlanta trieb, waren alle Abteile überfüllt mit Flüchtlingen, welche woanders Sicherheit suchten. Einige waren in Macon ausgestiegen; doch sogleich hatten andere deren Plätze eingenommen, weil sie hofften, dass Savannah, Charleston oder Augusta weit genug vom Kriegsschauplatz und den feindlichen Soldaten entfernt seien, um Zuflucht zu bieten.
Wenn Alexander Amberville Shanna nicht den letzten Brief ihres Vaters gezeigt hätte, in welchem er den Freund bat, sie in sein Heim aufzunehmen, hätte sie nie Atlanta verlassen. Es war ihr gleichgültig, was mit ihr geschehen würde. Doch der Anblick der letzten Zeilen des geliebten Vaters hatte ihr den letzten Rest an Mut geraubt. Sie war in Tränen ausgebrochen und willenlos mitgegangen. Jetzt war sie froh, dass sie es getan hatte.
Sie hatte auf der Veranda Platz genommen. Tante Lea war zurück ins Haus gegangen. Die Sonne streichelte Shanna das Gesicht, von den Dächern gurrten Tauben, der Duft frisch gemähten Grases vermischte sich mit dem der Magnolien, welche dicht neben ihr blühten. Ja, es war ein gutes Gefühl zu leben! Shanna genoss den Augenblick, denn er erinnerte sie an ihr Zuhause. Zum ersten Mal konnte sie ohne tiefen Schmerz wieder an das zerstörte Herrenhaus der Plantage denken, in welchem sie geboren worden war.
„Guten Morgen, Miss Shanna! Welch schöner Anblick für diese alten Augen!“ Abraham tauchte mit einem Tablett neben ihr auf und stellte dieses auf den langen Tisch aus Pinienholz. Dann reichte er ihr ein Glas frisch gepressten Orangensaft und einen Teller mit gebratenem Schinken und Eiern. „Hannah hat mir gesagt, dass sie keinen Krümel davon wiedersehen will und dass sie jederzeit noch mehr machen kann. Frisch gebackenes Brot und Kaffee bringe ich auch gleich.“
Shanna wusste aus Erfahrung, dass sie bei ihrem geringen Appetit niemals alles aufessen konnte; aber sie wollte die Gefühle des alten Dieners nicht verletzen. Tante Lea hatte ihn und seine Frau Hannah, beide Ende fünfzig, auf Anhieb in ihr Herz geschlossen, und das reichte ihr. Sie sah ihm lächelnd in das faltige Gesicht und fragte sich, ob Abraham wohl Tante Lea von Rafe Ambervilles Verhältnis zu seiner Familie erzählt hatte.
„Ich werde mein Bestes tun. Es duftet köstlich. Danke, Abraham.“
Der alte Mann
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