Historical Exclusiv Band 44
sich so gewandelt hatte.
„Ich habe gesehen, wie du ihn anschaust“, sagte ihre Mutter und blickte von ihrer Näharbeit auf. „Du hast dich in ihn verliebt.“
Solay erbleichte. Sie sollte leugnen, ja, das sollte sie. Aber sie war des Lügens müde. „Meinst du, er weiß es?“
Ihre Mutter lachte. „Natürlich nicht. In dieser Beziehung sind Männer hoffnungslos.“
„Es ist seltsam, nicht wahr? Das war seine Bedingung, und ich habe sie erfüllt, und nun wage ich nicht, es ihm zu sagen.“
„Warum?“
Aus all jenen Gründen, aus denen ihre Mutter sie vor der Liebe gewarnt hatte. Weil er zu wichtig ist. Weil er mein Leben in seinen Händen hält. Weil ich kein Leben habe, wenn er mich nicht akzeptiert. „Er würde mir nicht glauben.“
Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Ich verstehe, dass du seinen Leib begehrst, aber ich verstehe nicht, warum du noch mehr willst.“
„Er ist …“ Sie schüttelte den Kopf und lachte wieder über sich selbst. „Er ist eigensinnig und dickköpfig und selbstgerecht, aber er besitzt Ehre und Aufrichtigkeit.“ Sie sank vor ihrer Mutter auf die Knie und umfasste deren Hände. „Er glaubt wirklich, Mutter. Er glaubt, dass es Recht und Gerechtigkeit hier auf Erden geben kann. Er glaubt es so fest, dass auch ich daran glaube. Und sollte er jemals sagen: Ich liebe dich, dann werde ich auch das glauben.“
„Habe ich dich denn gar nichts lehren können? Du darfst niemandem trauen.“
„Aber ich bin mit ihm verheiratet.“ Es war so süß, das sagen zu können. Niemand konnte sie je auseinanderbringen, das hatte Justin versprochen.
„Verheiratet, ja, aber solange du nicht das Bett mit ihm teilst, kennst du ihn nicht und hast keine Möglichkeit, ihn zu beeinflussen. Du musst dieser Trennung ein Ende setzen und bei ihm liegen, sonst wirst du vollständig seiner Gnade ausgeliefert sein.“
Sie blickte in das furchtsame Gesicht ihrer Mutter, und in ihre Liebe mischte sich Mitleid. In der Besorgnis, die sie jetzt sah, erkannte sie, was für ein Leben ihre Mutter geführt hatte, ein Leben, in dem nicht einmal die körperliche Liebe geheiligt war. Etwas wurde immer zurückgehalten. Niemals wurde der Körper hingegeben, ohne dass ein Preis verlangt wurde. Eine Prostituierte, die nicht in Münzen, sondern in Loyalität und Einfluss bezahlt wurde.
Und so ein Leben wollte sie nicht. Nicht am Hof und nicht in ihrem Ehebett. So viel hatte sie von Justin gelernt. Sie wusste nicht, wie weit sie seinem Pfad folgen konnte, aber sie wusste, dass sie nicht länger auf dem alten bleiben wollte.
„Wenn ich bei ihm liege, dann, weil ich ihn liebe, und aus keinem anderen Grund.“
Furcht zeigte sich in der Miene ihrer Mutter, und sie drückte Solays Hand so fest, dass ihre Nägel Spuren darin hinterließen. „Hör mir zu. Du warst dem König untertan, schon ehe du geboren wurdest. Und das wird so bleiben, egal, wer dein Gemahl ist und ob er lebt oder stirbt. Deine Treue muss immer, immer an erster Stelle dem König gehören. Vor deinem Gemahl, vor deiner Familie. Sogar vor Gott.“
„Nein, Mutter. In erster Linie muss ich mir selbst treu sein.“
Ihre Mutter zog ihre Hände zurück und verschränkte sie in ihrem Schoß, als wollte sie Solay nie wieder anrühren. „Dann habe ich, wie es scheint, keine Tochter mehr.“
Solay erhob sich von ihren Knien. „Du hast eine Tochter, Mutter, sonst wären Justin und ich nicht hier. Aber ich bin nicht mehr deine Spielfigur.“
Und ihr schien es, als unterdrückte ihre Mutter ein Lächeln.
23. KAPITEL
S olay, kann ich mit dir reden?“ Jane, die schlaksige Fünfzehnjährige, stand an der Türschwelle und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Solay blickte von ihrem Geburtshoroskop auf, über dem sie gegrübelt hatte. Jeden Planeten, jedes Haus musste sie selbst zu ergründen versuchen, ohne den Arzt zu fragen. Denn dieser glaubte, sie interessiere sich nur für Kräuter und Heilkunde. „Natürlich.“
Jane trug das helle Haar zusammengebunden, damit es ihr nicht ins Gesicht fiel. Unter Tunika und Hose erkannte Solay die Rundungen von Brüsten und Hüften. Wie konnte das Mädchen so herangewachsen sein, ohne dass sie es bemerkt hatte?
Jane begann ohne Vorrede. „Was wird aus uns werden? Ohne das Haus?“
Ihre Worte verschlugen Solay die Sprache.
Bei ihrer Flucht auf das Land war Jane erst fünf gewesen, zu jung, um sich genauer an ihren Vater zu erinnern, an den Hof und seine Fallstricke. Ihre Mutter hatte geplant, dass Solay
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