Historical Exklusiv Band 20
das, der seinen Vater in einer derart geschmacklosen Art und Weise zu betrügen wagte?
Sowie die Frage in ihrem Bewusstsein auftauchte, wusste Briana auch sogleich die Antwort. Nur ein Mann, der als Kind dermaßen verletzt worden war, dass er in seinem Herzen und seiner Seele keinen Platz und keine Kraft mehr zur Vergebung hatte, wäre als Erwachsener zu einem solchen Verhalten fähig.
Sie dachte an ihre eigene Familie, die laut, ungeduldig und manchmal einfach nur unmöglich war. Aber niemals gab es Zweifel an der Liebe, die alles einschloss und überdeckte. Wie es ihr wohl ergangen wäre, wenn sie als Kind vollkommen allein gewesen wäre ohne jemanden, der Anteil an ihrem Wohlergehen nahm oder um den sie sich hätte kümmern können? Schon allein die Vorstellung eines solch tristen Daseins trieb Briana die Tränen in die Augen.
Doch nein! Briana wollte diese sentimentalen Überlegungen nicht weiterverfolgen. Keane O’Mara war ein Mann, der seinem Vater die Geliebte ausgespannt hatte, um diese aus purer Rache zu ehelichen. Er hatte damit ausschließlich seinen Vater zutiefst treffen wollen, was ihm auch gelungen war. Und als Gipfel der Herzlosigkeit hatte Keane auch noch sein Kind im Stich gelassen. Wie konnte er so etwas nur tun, nachdem er doch als Kind selber die bittere Erfahrung hatte machen müssen, von seinem Vater einfach fallen gelassen zu werden!
Doch wieder einmal fand Briana die Antwort auf dem Grunde ihrer Seele. Keane glaubte, er habe die Liebe seines eigenen Kindes nicht verdient! Und nun war er fest entschlossen, auch Briana von sich zu stoßen aus dem gleichen Grund: Er war davon überzeugt, ein derart schlechter Mensch zu sein, dass er auch ihre Liebe nicht verdiente! Oder die Liebe irgendeines anderen Menschen.
Auch seine Furchtlosigkeit in lebensgefährlichen Situationen bekam eine andere Bedeutung. Zwar war er zweifelsohne ein mutiger Mann, doch er würde darüber hinaus seinen eigenen Tod mit Freude akzeptieren. In seinem tiefsten Inneren glaubte er nämlich felsenfest daran, dass er es nicht einmal verdiente, ein Leben in Zufriedenheit und mit einer angemessenen Leichtigkeit zu führen.
Briana war zutiefst aufgewühlt. Die pure Hoffnungslosigkeit seines Daseins berührte sie mehr als alles andere. Und in diesem Moment fielen ihr Worte ein, die sie einmal in ihrem Gebetbuch gelesen und die sie damals sehr beeindruckt hatten.
So sicher, wie auf Dunkelheit immer wieder Licht folgt, so sicher wird das Gute das Böse überwinden. Aber doch nur so lange, wie gute Menschen bereit sind, jedes zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Risiko einzugehen.
Von neuer Hoffnung und Energie erfüllt, drehte sich Briana auf dem Absatz um und rannte aus dem Zimmer hinaus.
Briana fand Keane wie erwartet in der Bibliothek, die nur ein wenig vom Schein der im Kamin glühenden Kohlen erleuchtet wurde, ansonsten aber im Dunkel lag. Keane war als leicht schwankende Figur, die ein Glas in der Hand hielt und am Fenster stand, erkennbar.
„Verschwinde“, stieß er böse hervor, als er Briana entdeckte. „Ich bin keine geeignete Gesellschaft für dich.“
Statt einer Antwort griff Briana lediglich nach einem Holzscheit und warf es in die Glut.
„Ich habe gesagt, du sollst verschwinden.“ Er machte eine entsprechende Handbewegung, um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen.
„Hast du mir nun wirklich alles gesagt, was es zu sagen gibt, Keane?“, wollte sie ruhig wissen.
Noch immer hielt er ihr den Rücken zugewandt. „Was hättest du denn gern? Hoffst du auf noch mehr Skandale, bei denen du dich grausen kannst? Wie wär’s vielleicht mit einem brutalen Mord? Habe ich noch nicht genug erzählt, um deine empfindsamen Gefühle zu schockieren?“ Seine Stimme troff förmlich vor Bitterkeit und Ironie.
„Ich will nur sicher sein können, dass es nicht noch mehr gibt, was du vor mir geheim hältst.“
„Ich habe dir alles erzählt, Briana. Und ich habe dir mein Wort gegeben, dafür zu sorgen, dass du, sowie es hell ist, nach Ballinarin zurückkehren kannst.“
„Ich will aber gar nicht nach Ballinarin.“
Er drehte den Kopf zu ihr herum. „Wohin denn dann?“
Briana atmete tief durch, bevor sie erklärte: „Wenn du dich wirklich und wahrhaftig für ein Monster, einen Feigling und einen Verräter und Ausbeuter hältst wie dein Vater, warum tust du dann nicht endlich etwas, um deinem Leben eine neue, bessere Richtung zu geben?“
Keane lachte freudlos auf. „Wie sollte ich das deiner
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