HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
der Hund regelmäßig nach draußen gelassen wurde.
Im unsteten Schein der Kerze bemerkte Darcy, dass auch Gryf neben dem Bett saß, halb in den Schatten verborgen.
„Ich habe auf dich gewartet“, sagte der Junge beinahe anklagend.
„Es tut mir leid, Whit. Ich war im Salon bei meiner Familie, und die Zeit ist so rasch vergangen.“ Sie setzte sich auf die Bettkante, schaute ihn an und nahm seine Hände. „Wenn du dich besser fühlst, dann wirst du bei uns im Salon sein können. Du wirst es mögen, Großvaters Seemannsgeschichten zu lauschen. Er hat als Kapitän viele Abenteuer erlebt, als er um die ganze Welt gesegelt ist.“
„Glaubst du, es würde ihm etwas ausmachen, mir einige von seinen Abenteuern zu erzählen?“
„Ob es ihm etwas ausmacht?“ Sie lachte. „Er wird begeistert sein, einen neuen, geduldigen Zuhörer für seine Geschichten zu haben. Aber nun …“, sie beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Wange, „… wird es für dich und Furchtlos Zeit, zu schlafen.“
Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. „Werde ich dich morgen früh sehen?“
„Ja, natürlich.“ Sie stand auf. „Schlafe jetzt, Whit. Und wenn du etwas brauchst, dann klingele mit der Glocke auf dem Nachttisch.“
„Du meinst, du würdest sogar mitten in der Nacht kommen?“
„Ja. Ganz gleich, wie spät es ist. Wenn du Schmerzen hast oder irgendetwas benötigst, klingele einfach.“ Flüchtig sah sie zu Gryf hinüber und fühlte das leichte Kribbeln, das sich immer einstellte, wenn sie seine Blicke spürte. „Gute Nacht, Gryf.“
Seine Stimme klang tiefer als sonst. „Gute Nacht, Darcy.“
Als sie den Raum verließ, schaute der Junge seinen Freund an. „Kannst du das glauben, Gryf?“
„Meinst du die Glocke?“
„Nein. Sie hat mich geküsst.“ Whit berührte die Stelle auf seiner Wange. „So hat mich meine Mutter immer geküsst. Ich kann mich noch erinnern, wie es sich anfühlte, wenn sie mich in ihren Armen hielt. Manchmal weiß ich sogar noch, wie sie roch. Wie eine Wildblumenwiese nach einem Regenschauer.“
Gryf durchzuckte es bei diesen Worten. Der Vergleich traf genau auf Darcy zu.
Er beugte sich vor und umschloss eine Hand des Jungen. Dann löschte er die Kerze. In der Dunkelheit klang seine Stimme rau. „Darcy hat recht. Du musst jetzt schlafen, Whit.“
„Ja. Danke, dass du bei mir warst.“ Der Junge sah, dass sein Freund sich wie ein großer Schatten durch den Raum bewegte.
Gryf schloss die Tür und ging in Richtung seines Zimmers. Was ich jetzt brauche, dachte er, ist Schlaf. Was er wollte, war allerdings etwas anderes.
Ja. Was er wollte. Seit Darcy Lambert ihm das erste Mal in jener Schankstube in dem walisischen Dorf begegnet war, hatte er dieses Verlangen verspürt. Bloß jetzt war es weit mehr als lüsterne Begierde. Es war Liebe geworden. Heimlich hatte die Liebe sich seiner bemächtigt.
Ohne genauer darüber nachzudenken, folgte er einer plötzlichen Eingebung und stieg die Stufen zum oberen Stockwerk empor. Von dort führte eine weitere Treppe hinauf zum Söller.
Als er ins Freie trat, fiel sein Blick auf Darcy. Regungslos wie eine Statue stand sie an der Brüstung und starrte hinaus auf die See.
Er atmete die kalte Luft ein und ging auf Darcy zu. „Kannst du sie sehen?“
Bei seiner leisen, tiefen Stimme durchrieselte sie ein wohliger Schauer. Der raue, spröde Tonfall, der von den Verbrennungen im Hals herrührte, war beinahe völlig verschwunden, und nun erklang seine Stimme tief und samtweich.
Obwohl sie seine Schritte gehört hatte, schaute sie ihn nicht an. „Was soll ich sehen können?“
„Die Geisterschiffe, die über die Meere segeln, wenn die Welt schläft.“
„Ich habe davon gehört. Aber ich habe sie noch nie gesehen.“
„Ich dachte, das wäre es, was dich nach draußen zieht.“
Sie schüttelte den Kopf, doch sie weigerte sich immer noch, ihn anzugucken. „Eine alte Gewohnheit. Offenbar kann ich sie nicht ablegen.“
„Vielleicht hältst du immer noch nach ihm Ausschau.“
„Nach wem?“
„Nach dem jungen Mann, den du geliebt und verloren hast.“
Jetzt wandte sie sich ihm zu. „Wer hat dir das erzählt?“
Gryf schüttelte den Kopf. „Das tut nichts zur Sache. Ich hasse es, die Trauer in deinem Blick zu sehen.“ Er umfasste ihr Kinn und schaute ihr tief in die Augen. „Ich würde alles tun, um die Traurigkeit von dir zu nehmen. Um dich von deinem Schmerz und deinen Erinnerungen zu erlösen.“
Sie legte eine Hand an seine
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