Historical Saison Band 18
ihre Handfläche und knabberte dann sanft an ihrem Zeigefinger, ehe er ihn in den Mund nahm und zärtlich daran saugte.
Nein, ermahnte sie sich stumm, und ihre Augen weiteten sich, ich darf nicht nachgeben. Wenn sie ihm gab, wonach er verlangte, hatte sie kein Druckmittel mehr, mit dem sie sich seines Schweigens versichern konnte. Das Risiko war zu groß. Er durfte sie niemals fangen.
Er schien ihre Gedanken erraten zu haben und wirkte nicht überrascht, als Isabelle ihm ihre Hand entzog.
„Ich werde sie fangen, Miss Hennessey“, versprach er mit fester Stimme.
Henry lehnte sich weit genug zurück, damit sie sich die Handschuhe wieder anziehen konnte. Aufgewühlt und mit zitternden Händen strich sie ihre Kleidung glatt und mühte sich, den wohligen Schauer, der ihr über den Rücken jagte, durch ein hochmütiges Schütteln des Kopfes zu verbergen.
„Sie können es versuchen “, sagte sie herausfordernd und ging zur Tür. Aber es darf Ihnen nicht gelingen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Nachdem sie sich zum Abschied höflich vor der Madam verbeugt hatten, verließen sie rasch das Freudenhaus und machten sich auf den Rückweg. Am Ortsrand von Wan Chai rief Jia-Li Träger herbei. Henry bot Isabelle seine Hand, um ihr in die Sänfte zu helfen, bevor er in seiner eigenen Platz nahm. Dankbar nahm sie das feuchte Tuch entgegen, das Jia-Li ihr anbot, und betupfte vorsichtig ihr Gesicht, um so viel Staub wie möglich zu entfernen. Ein Tag in Wan Chai konnte anstrengend sein – ein Tag im Markt- und Rotlichtviertel war obendrein ausgesprochen schmutzig.
Dennoch hatte sie sich nach dem Tod ihrer Mutter geschworen, ihre regelmäßigen Besuche fortzusetzen. Obgleich ihr Vater, wie man ihr erzählte, ihre Mutter trotz ihrer ärmlichen Herkunft aufrichtig geliebt hatte, schien sein Gewissen ihn nicht dazu zu drängen, auch nach deren Tod für ihre Familie zu sorgen. Isabelle indes fühlte sich moralisch dazu verpflichtet, weshalb sie immer wieder ins Dorf hinunterging, um den verarmten Verwandten ihrer Mutter Geld zu bringen.
Inzwischen aber waren die geheimen Ersparnisse ihrer Mutter aufgebraucht, und Isabelle war nichts anderes übrig geblieben, als sich durch Diebstähle Geld zu beschaffen. Ihre Verwandten benötigten die finanzielle Unterstützung dringend, und bedauerlicherweise verschlechterte sich der Gesundheitszustand ihrer Großmutter beständig. Isabelle hatte keinerlei Skrupel, die korrupten Mitglieder der feinen englischen Gesellschaft um einige ihrer Wertsachen zu erleichtern, doch sie durfte kein allzu großes Wagnis eingehen, wenn sie nicht ertappt werden wollte. Sie hoffte, dass Jia-Li inzwischen neue Informationen über mögliche Wertgegenstände für sie hatte, die sich leicht und gefahrlos entwenden ließen.
Während die Träger die Sänfte anhoben und sie über den steilen Bergweg zu ihrem Zuhause auf dem Victoria Peak brachten, stützte Isabelle gedankenverloren das zierliche Kinn auf die Faust und seufzte tief auf. Sie liebte und hasste Hongkong zugleich. Es repräsentierte die beiden Hälften ihres Ichs, die sich in einem ständigen Kampf miteinander befanden – ihr kühler, englisch geprägter Verstand und ihr leidenschaftliches, chinesisches Temperament.
Als sie Mountain Lodge erreichten, nahm Henry ihre Hand, um ihr aus der Sänfte zu helfen. Sie wandte sich ab, um ins Haus zu gehen, doch er ließ ihre Hand nicht los. Aufgebracht drehte sie sich zu ihm um.
„Sie gehen zu weit“, sagte sie streng.
Er zog ihre Hand an seine Lippen. „Ich möchte Sie lediglich um den Gefallen bitten, mich morgen zu dem Pianokonzert in Austin Arms zu begleiten.“
„Sie haben sich keinen Gefallen verdient.“ Sie entzog ihm ihre Hand und schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln. „Fangen Sie mich, dann können Sie verlangen, wonach auch immer Ihnen der Sinn steht.“
5. KAPITEL
A ufrecht, die Augen fest auf den Pianisten gerichtet, die verkrampften Finger im Schoß verschränkt, saß Isabelle im Konzertsaal von Austin Arms. Kalte Wut hatte sie erstarren lassen.
Die Gerüchteküche brodelte. Irgendjemand hatte die Behauptung in die Welt gesetzt, sie habe Lord James’ Aufmerksamkeit erregt und er mache ihr den Hof. Isabelle vermutete, dass ihr ehrgeiziger Bruder der Urheber dieses Geredes war. Sie verfluchte ihn in Gedanken, weil er sie dadurch in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hatte. Seit ihrer Ankunft standen die Klatschmäuler nicht mehr still, man verfolgte sie mit Blicken und tuschelte
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