Historical Weihnachten Band 01: Das Geschenk der heiligen Nacht / Die Winterbraut / Licht der Hoffnung
kennengelernt hatte. Er würde in einem Kampf ein erstklassiger Widersacher sein, und es war genau diese Erkenntnis, die sie daran zweifeln ließ, ob sie weiter protestieren sollte.
Noch während sie überlegte, wie sie sich am besten verhalten sollte, wurde ihr klar, dass das Festmahl jeden Moment beginnen würde. Es wäre unhöflich von ihr gewesen, diesen Beginn durch ihre Abreise zu verzögern. Und als sie dann auch noch die erwartungsvollen Mienen von Roesia und ihren Männern sah, die sich bereits auf die erlesenen Speisen und die festliche Atmosphäre freuten, wusste Joy, dass sie ihnen dieses Vergnügen nicht verweigern konnte. Sie nickte Campion zu, wahrte aber trotz dieser Kapitulation ihre Haltung.
„Nun gut, aber nur für die Dauer des Festmahls. Danach müssen wir aufbrechen“, betonte sie. Dass Campion auch darauf mit einem Lächeln reagierte, war nichts weiter als Höflichkeit, und doch verspürte sie eine unerklärliche Wärme, als freue er sich tatsächlich über ihre Anwesenheit. Als sie den Earl genauer musterte, wurde ihr bewusst, dass seine väterliche Ausstrahlung trügerisch war, denn dieser Mann war nicht alt, sondern immer noch jung und voller Leben, und er hatte etwas an sich, das ihn sehr anziehend wirken ließ.
Mit einem Lächeln angesichts einer solch dummen Überlegung schüttelte Joy den Kopf, dennoch folgte ihr Blick Campion, als der sich erhob, das Fest für eröffnet erklärte und den anderen seine Gäste vorstellte. Joy stand ebenfalls auf und brachte ein paar höfliche Worte heraus, aber sie empfand unwillkürlich eine gewisse Ehrfurcht, als sie die langen Tischreihen sah, an denen Bewohner der Burg, Ritter, Diener, Leibeigene und freie Bürger aus den Ländereien der de Burghs zusammensaßen. Die Anwesenden stießen einen ohrenbetäubenden Toast aus, als sie ihre Becher und Kelche hoben, dann wurde der Eberkopf – die traditionelle Weihnachtsdelikatesse – mit viel Aufhebens in den Saal getragen.
Roesias Worte hallten in ihrem Kopf nach.
Ich könnte mich an ein solches Leben
gewöhnen.
Obwohl Joy nie großen Wert aufs Essen gelegt hatte, war sie sehr angetan von dem wunderbaren Geschmack, der Vielfalt und den unglaublichen Mengen der einzelnen Gänge. Ganz sicher waren dies mehr als die zwölf speziellen Gerichte, die traditionell zu den Feiertagen gehörten, denn neben Tabletts mit Rind-und Lammfleisch, Truthahn und verschiedenen Käsesorten gab es Saucen, Mostrich, Äpfel und Nüsse, gefolgt von süßem Brei, Molkentrank, Minzpastete und Pudding.
Während sie aß, sah sich Joy in dem riesigen Saal um und musterte die Menschen, die hier versammelt waren. Der Haushalt setzte sich vorwiegend aus Männern zusammen, und als Campion ihr von seinen sieben Söhnen erzählte, da überraschte sie diese Tatsache nicht. Es gab keine Burgherrin und auch keine Hofdamen. Die wenigen Frauen, die an den unteren Tischen saßen, schienen die Ehefrauen der zahlreichen Ritter zu sein, die an den übrigen Tischen die Ehefrauen der Leibeigenen oder der freien Bürger.
Joy saß rechts neben dem Earl, musste sich aber eine Platte mit seinem Sohn Stephen teilen. Der war in ihren Augen ein typischeres Beispiel für die Gattung Mann, da er ein verwöhntes und arrogantes Verhalten an den Tag legte. Vom Aussehen her hätte sie ihn kaum für Campions Sohn gehalten, und auch sein anderer Sohn Reynold hatte mit dem Vater nur wenig gemeinsam. Er war ein ruhiger Mensch, der verbittert dreinschaute. Ihn hielt sie für einen dummen Jungen, wenn sie überlegte, welche Möglichkeiten ihm offenstanden. Er sollte für seine Herkunft dankbar sein, anstatt zu beklagen, dass er ein wenig humpelte. Aber so waren Männer nun einmal.
Da sie ihren Gedanken nachging, erschrak sie umso mehr, als sich Stephen zu ihr herüberbeugte und an ihrer Brust entlangstrich, während er ihr das Fleisch klein zu schneiden begann.
„Vielen Dank, aber das kann ich selbst“, sagte sie und schob ihn mit einem kühlen Lächeln auf den Lippen von sich. Zwar ging er wieder auf einen angemessenen Abstand zu ihr, doch er schmollte die meiste Zeit, trank zu viel Wein und begann dann, seinen Bruder zu verspotten. Joy verspürte den Wunsch, ihm eine Ohrfeige zu verpassen und ihn aufzufordern, sich endlich zu benehmen.
Schließlich richtete er sein Interesse auf Joys Dienstmagd, und obwohl sie nicht wünschte, dass Roesia mit ihm Umgang hatte, war sie doch froh darüber, wenigstens für eine Weile ihre Ruhe zu haben.
Hier auf Campions
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