Historical Weihnachten Band 01: Das Geschenk der heiligen Nacht / Die Winterbraut / Licht der Hoffnung
ich muss mich beeilen, damit ich mein Ziel erreiche“, erklärte Joy und zwang sich zu einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es schmeichelnd war. Doch sie war schon seit so vielen Jahren ihr eigener Herr, dass ihr Lächeln vermutlich eher einschüchternd wirkte.
Campion musterte sie schweigend. Bei jedem anderen Mann hätte Joy zumindest ein wenig Angst verspürt. Man konnte nie vorsichtig genug sein, was die aufbrausenderen Angehörigen des anderen Geschlechts betraf, für die eine schutzlose Frau oft eine verlockende Beute war, von der sie sich Besitz oder Vermögen versprachen oder die ihr Verlangen stillen sollte. Es fiel ihr jedoch schwer, Campion derartige Motive zu unterstellen. Vielmehr war er sogar der erste Mann, der völlig mit sich selbst im Einklang war. Er besaß Ländereien, Vermögen und Macht, und der bloße Gedanke, der ruhige, gefasste Earl könnte plötzlich fleischlichen Gelüsten erliegen, war nahezu lachhaft.
Aber wenn das so war, warum lachte sie dann nicht? Warum verspürte sie stattdessen eine merkwürdige Wärme? Campion hielt den Kopf leicht zu ihr geneigt, seine Aufmerksamkeit war so intensiv und umfassend auf sie gerichtet, dass sie sich fast mit Händen greifen ließ. Joy musste den plötzlichen Impuls unterdrücken, sich unter dem Blick seiner rätselhaften Augen zu winden.
„Ich kann verstehen, dass Ihr Eure Reise zügig hinter Euch bringen möchtet, aber ich fürchte, bei diesem Wetter werdet Ihr nur sehr langsam vorankommen“, erwiderte der Earl schließlich. „Ich bin mir sicher, Ihr wollt nicht noch einmal das Erlebnis von gestern Abend über Euch ergehen lassen. Heute ist das Wetter zwar geringfügig besser, doch die Leibeigenen und die freien Bürger, die heute Morgen lediglich von ihren Höfen herreisen mussten, hatten viele Geschichten über die Heftigkeit der Elemente zu berichten.“
Er hatte ihren Wunsch nicht schroff abgewiesen, sondern sie höflich an die momentane Situation erinnert. Joy zog die Augenbrauen zusammen. Ein Blick zu den schmalen, hohen Fenstern des Saals zeigte ihr, dass fahles Licht hereinfiel – ein deutliches Zeichen dafür, dass der Himmel immer noch dicht bewölkt war. Ebenso wusste sie nur zu gut, dass manche der Schneewehen auf ihrem gestrigen Weg nahezu unpassierbar gewesen waren. Die Notwendigkeit, aufzubrechen und weiterzureiten, lieferte sich ein zähes Ringen mit der Versuchung, weiter in der Zuflucht zu bleiben, die Campion für sich geschaffen hatte, eine Insel inmitten einer stürmischen See voller Sorgen, die von aller Welt abgeschieden war.
Allerdings hatte Joy sich nie vor ihren Pflichten versteckt oder sich auf den Beistand eines Mannes verlassen, nicht einmal, wenn er so vornehm und mächtig war wie Campion. Sie hob ihr Kinn an, zur Abreise entschlossen, doch sie setzte soeben zum Sprechen an, da beugte sich der Earl wieder zu ihr herüber, als wolle er sie an einer Wahrheit teilhaben lassen, die nur für ihre Ohren bestimmt war.
„Verzeiht, wenn ich es so klar und deutlich ausspreche, Mylady, aber bei diesem Wetter werdet Ihr unterwegs eher erfrieren, anstatt Euer Ziel zu erreichen“, ließ er sie wissen.
Sie machte den Mund auf, um zu widersprechen, doch da er sie so ernst ansah, überlegte sie sich ihre Worte noch einmal. Natürlich hatte er recht. Ihre brennende Entschlossenheit hatte sie in ihrer Urteilsfähigkeit eingeschränkt.
Nachdenklich sah Joy sich im Saal um und beobachtete, wie Roesia mit Campions Sohn schäkerte, wie ihre Männer sich angeregt mit den Rittern der Burg unterhielten und ihr Ale tranken. Bei diesem Anblick kam sie sich wie eine Schurkin vor. Sobald sie ihren Leuten befahl aufzubrechen, würden die ihr loyal folgen, notfalls bis in den Tod – den der Earl ihr als recht wahrscheinlichen Ausgang eines solchen Unterfangens vor Augen geführt hatte. Sie erinnerte sich noch zu gut an den Schnee, der ihnen die Sicht nahm, und an die Angst, die Pferde könnten mit ihren Kräften am Ende sein, bevor sie eine sichere Unterkunft erreichten.
Nur ein Narr würde sich ein zweites Mal diesen Naturgewalten stellen. Zwar war sie selbst kein Narr, doch manchmal war sie so sehr daran gewöhnt, das Sagen zu haben, und so sehr auf ein bestimmtes Ziel konzentriert, dass sie nichts anderes um sich herum wahrnahm. Das war ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich.
„Mylady.“ Campions leise Stimme ließ sie zusammenfahren, da sie seine Anwesenheit bereits nahezu vergessen hatte. Als sie sich zu ihm umdrehte,
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