Historical Weihnachten Band 01: Das Geschenk der heiligen Nacht / Die Winterbraut / Licht der Hoffnung
verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln.
Ohne die Anwesenheit ihres Opfers blieb ihr nichts anderes zu tun, als sich zurückzulehnen und zu warten – ein sehr beunruhigendes Gefühl, das sie vor die Frage stellte, wie viel sie sich ihren Plan kosten ließ. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und die Feier neigte sich dem Ende entgegen, da die Leibeigenen und freien Bürger sich für den Heimweg bereit machten, nachdem sie den Tag auf der Burg verbracht hatten.
Stephen spielte den geselligen Gastgeber, und Joy überlegte, ob sie ihn oder seinen Bruder fragen sollte, wohin sich ihr Vater begeben hatte. Während ein Teil von ihr sich dagegen sträubte, auf die Suche nach ihrer Beute zu gehen, erklärte ein anderer das Wissen über seinen Verbleib als notwendig, um ihren Plan verwirklichen zu können. Von diesem ungewohnten Zwiespalt in Verwirrung gestürzt, stellte sie den Strauß mit einer ungeduldigen Geste fertig.
Sie hob den Kopf, um einen Diener zu rufen, der den Strauß für sie aufhängen sollte, doch direkt vor ihr stand – entschieden zu dicht – Stephen und versperrte ihr den Weg. Der ausladende Stuhl, auf dem sie saß, war so schwer, dass sie ihn nicht nach hinten schieben konnte, und sie kam auch nicht seitlich an Campions Sohn vorbei.
Abgesehen davon war es nicht ihre Art, vor einem Mann zurückzuweichen, also hob sie trotzig ihr Kinn an und warf ihm einen fragenden Blick zu. Mit Verärgerung musste sie zusehen, wie er sich zu beiden Seiten mit seinen Händen auf dem Tisch abstützte, sodass sie in keine Richtung mehr ausweichen konnte.
„Wundervolle Arbeit, Mylady. Sollen wir sie ausprobieren?“, fragte er mit gedämpfter Stimme und beugte seinen Kopf noch etwas weiter vor. Ehe Joy darauf etwas entgegnen konnte, kam sein Mund ihrem näher und näher.
Der in das Immergrün geflochtene Mistelzweig sollte zum Friedenskuss auffordern, doch das hier war keine schlicht freundschaftliche Berührung der Lippen. Stephens Kuss sollte verführen, so meisterlich bewegte er seine Lippen über ihre. Joy, die etwas Derartiges nicht gewohnt war, machte den Fehler, erschrocken nach Luft zu schnappen, was Stephen zu ihrem Erstaunen ausnutzte, um seine Zunge in ihren Mund zu drücken. Sie schmeckte nach Wein und etwas Bitterem. Die kühle Berechnung seiner Bewegungen schürte ihre Wut, und Joy wich vor ihm zurück, zugleich zog sie ihr Knie hoch.
Zwar hatte sie wenig Erfahrung, was das Küssen betraf, doch sie wusste, wie sie aufdringliche Männer abwehren musste. Während sie sich aus seinen Armen befreite, hörte sie Stephen vor Schmerz aufschreien. Aus sicherer Entfernung beobachtete sie ihn, wie er gefährlich schwankte und dann in Richtung Tafel kippte.
Nur die den de Burghs angeborene Anmut bewahrte ihn davor, mit dem Gesicht auf der abgenutzten Tischplatte aufzuschlagen, aber selbst dann hätte Joy kein Mitgefühl mit ihm gehabt.
Reynold gab einen amüsierten Laut von sich, und Stephen drehte sich mit mürrischer Miene zu Joy um. Die schaute ihn trotzig an und hielt seinem Blick so lange stand, bis er sich vom Tisch abstieß. Sein selbstsicheres Lächeln kehrte zurück, und er deutete eine leichte Verbeugung an. „Touché, Mylady“, sagte er leise, dann wandte er sich von ihr ab.
„Verwöhnter kleiner Hund“, murmelte Joy, blieb aber unverrückbar stehen, bis er die Treppe hinaufgegangen und außer Sichtweite war. Erst dann ließ sie sich zurück auf den Stuhl sinken und seufzte angesichts der Launenhaftigkeit des Schicksals. Sie wollte nicht den Sohn für sich gewinnen, sondern den Vater! Erst als ihr Blick auf den Friedensstrauß fiel, der am Boden lag, wurde Joy klar, dass sie dem im Irrtum befindlichen de Burgh eigentlich dankbar sein sollte. Ein erfreutes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.
Stephen hatte ihr das geliefert, was ihr Roesia nicht geben wollte – einen Hinweis auf die Kunst der Verführung. Joy nahm die verlockende Idee auf und hoffte, damit bei Campion bessere Resultate zu erzielen als Stephen bei ihr. Während sie ihren Plan auszuarbeiten begann, ignorierte sie ihre Zweifel und stand auf, um sich an die Dienerin zu wenden, die die letzten Becher von den langen Tafeln räumte.
„Wilda?“, fragte Joy und lächelte freundlich, als die Frau zurückhaltend nickte. „Ist Euch bekannt, wo sich Lord Campion momentan aufhält?“
„Er nimmt ein Bad, soweit ich weiß. Allerdings werde ich wohl nie begreifen, warum die Männer in dieser Familie das Bedürfnis verspüren,
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