HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 01
im Licht des neuen Tages verfolgte ihn die Erinnerung an ihre Umarmung und ließ ihn aufstöhnen. Was war nur in ihn gefahren? Er konnte sich nicht erinnern, jemals so spontan und so ungestüm gehandelt zu haben. So etwas passte einfach nicht zu ihm.
Vielleicht wurde er ja allmählich alt.
Alt und verrückt.
Er nahm sich vor, in seinen Gemächern zu bleiben, da ihm nicht danach war, sich den Festlichkeiten der Feiertage zu stellen. Zumindest wollte er sich so lange dort aufhalten, bis das Festmahl beginnen würde. Doch dann ging er mit einer Rastlosigkeit in seinen Räumlichkeiten auf und ab, wie er sie seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. In dieser aufgewühlten Verfassung fand ihn schließlich Reynold vor, dessen unschuldige Frage nach seinem Befinden Campion aus unerfindlichen Gründen über alle Maßen verärgerte.
„Mir geht es gut“, murmelte Campion.
Mir ist nur klar geworden,
hätte er am liebsten angefügt,
was mir seit Langem gefehlt hat. Und nun muss ich gegen ein
Verlangen nach etwas ankämpfen, das ich nicht haben kann.
Er stand am Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und starrte hinaus auf die karge Landschaft, während er den kalten Wind genoss, der ihm ins Gesicht wehte. Vielleicht würde dieser Wind ja sein in Wallung geratenes Blut abkühlen können.
Hinter sich hörte er, wie Reynold auf der Sitzbank nahe dem Kamin Platz nahm. „Der Saal sieht schon viel weihnachtlicher aus“, sagte sein Sohn.
„Ja“, erwiderte Campion.
Und zu verdanken haben wir das einer Abmachung mit
Lady Warwick, die ich gestern Abend so unmöglich behandelt habe.
„Die Ritter machen bereits regen Gebrauch vom Friedensstrauß.“
Als Reynold das Grün mit dem Mistelzweig erwähnte, spürte Campion Hitze in sich aufsteigen. Die Erinnerung an Lady Warwick in seinen Armen, eine Hand in ihrem vollen Haar vergraben – das genügte, sich räuspern zu müssen, bevor er etwas erwidern konnte.
„So soll es auch sein, solange die Feier nicht aus dem Ruder läuft“, sagte der Earl schließlich. Dabei musste gerade er so etwas sagen, wo er doch ein Vorbild für seine Untergebenen sein sollte. Am gestrigen Abend war er allerdings ein denkbar schlechtes Vorbild gewesen, falls jemand ihn bei seinem Treiben mit Lady Warwick beobachtet haben sollte. Das Wissen, sein Verhalten könnte den Ruf seiner Besucherin geschädigt haben, ließ ihn dieses Handeln umso mehr bedauern.
„Stephen hatte als Erster davon Gebrauch gemacht“, ließ Reynold ihn in einem trügerisch sorglosen Tonfall wissen. „Mit der Dame selbst.“
Abrupt drehte Campion sich um und erstarrte. „Lady Warwick?“
Reynold nickte. „Du kennst ja Stephen. Immer für eine Dame zu haben, ob sie ihn will oder nicht.“
Eine Weile erwiderte Campion nichts, da er zunächst zu ergründen versuchte, was Reynold ihm sagen wollte. „Soll das heißen, Stephen hat Lady Warwick
bedrängt
?“
Wut gesellte sich zu seiner Scham, denn hatte er nicht genau das Gleiche gemacht?
„Nun, er hat ihr nicht wehgetan. Genau genommen war er der Leidtragende, da sie ihm zuerst das Knie in die Lenden stieß und ihn dann praktisch mit dem Gesicht voran auf den Tisch rammte. Es war recht amüsant, allerdings glaube ich, dass vor allem sein Stolz verletzt wurde“, meinte Reynold.
Campion war froh darüber, dass er diesen Vorfall nicht miterlebt hatte. Immerhin war es schon lange her, seit er einem seiner Söhne eine Tracht Prügel verabreicht hatte, doch in diesem Augenblick verspürte er den dringenden Wunsch, sich Stephen zur Brust zu nehmen. „Wo ist er?“
„Mit irgendeiner Frau unterwegs, die gegen seinen Charme nicht immun ist“, entgegnete Reynold schulterzuckend.
„Wenn er zurückkommt, werde ich ihn dazu bringen, sich zu entschuldigen“, sagte Campion mehr zu sich selbst als zu Reynold und fragte sich, welches Motiv ihn wohl hergeführt hatte. Die Jungen hatten immer zusammengehalten und ihm gegenüber verschwiegen, wenn einer von ihnen etwas angestellt hatte. Warum aber kam Reynold jetzt zu ihm und berichtete ihm von Stephens Fehlverhalten? „Danke, dass du mir das gesagt hast.“
Mit einer beiläufigen Geste stand sein Sohn auf. „Lady Warwick scheint durchaus fähig zu sein, auf sich selbst aufzupassen. Aber ich dachte, du solltest erfahren, dass sie nach dieser Begegnung ein Gesicht machte, als hätte sie von einem Stück verfaulten Fleisches gekostet.“ Reynold grinste amüsiert, dann machte er kehrt und verließ das Zimmer. Campion sah ihm
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