HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 02
meinte Will, trat vor und packte Olivia am Arm. „Dann werden wir beide diesen Ort verlassen und unseren Streit woanders fortsetzen.“ Er nickte John und seiner Frau kurz zu und zog Olivia zur Tür. Die beiden klammerten sich aneinander und sahen stumm zu, wie ihr Herr mit Olivia im Schlepptau aus der Hütte stürmte.
Er eilte in die Burg, stieg vorsichtig über die in Decken gehüllten Körper, die auf dem Boden lagen, und schlug den Weg zu seinen Gemächern ein.
Olivia presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und funkelte ihn wütend an. So wie es aussah, konnte sie sich kaum noch die Beschimpfungen verkneifen, die sie für ihn parat hielt.
Aber auch er hatte ihr viel zu sagen. Entschieden zog er sie die Treppe hinauf und in sein Gemach.
„Was macht Ihr da?“, fragte sie, als sich die Tür hinter ihnen schloss und der Riegel gegen Eindringlinge vorgeschoben wurde.
„Bleibt ruhig, meine scheue kleine Jungfrau. Ich habe nicht die Absicht, Euch gegen Euren Willen zur Liebe zu zwingen. Ich glaube nur, dass mein Gemach der einzige Ort ist, wo man uns nicht belauschen wird.“
„Oh, natürlich, der große Lord of Thalsbury und seine wohlbekannten Tugenden. Aber was ist aus Eurem Wort geworden, das Ihr mir genau am heutigen Abend gegeben und gebrochen habt, indem Ihr mir zu John und Martha gefolgt seid? Erinnert Ihr Euch nicht, dass Ihr gesagt habt, Ihr würdet mir nicht wegen meiner Geheimnisse nachjagen?“
Fassungslos sah er sie an. „Wie könnt Ihr es wagen, mich anzuklagen, wenn Ihr doch diejenige seid, die mich enttäuschte …“
„Ich gestehe es. Ja, ich habe Euch angelogen. Und um dieses Kind zu schützen, hätte ich noch Schlimmeres getan.“
„Ihr hättet zu mir kommen können, Olivia.“ In seiner Stimme schwang mehr als nur die Andeutung eines Schmerzes mit.
Sie musterte ihn mit kühlem Blick. „Ihr hattet nie vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Vielleicht täuschte ich mich, als ich glaubte, Euch vertrauen zu können.“
Zu seinem Entsetzen und seinem ausgesprochenen Verdruss musste Will erkennen, dass Olivia Grund hatte, schlecht von ihm zu denken. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, seinem Misstrauen nachzugeben, als er sie in der Stille der Nacht aus der Burg schleichen sah. Es war Alayna gewesen, an die er hatte denken müssen und daran, wie es ihm schon einmal ergangen war, als er sein Herz an eine Frau verloren hatte. Und jetzt war da Olivia. Wenn sie ein falsches Spiel mit ihm trieb, wenn sie einen anderen Mann hatte, einen Liebhaber … Will hatte nicht widerstehen können, ihr zu folgen. Er hatte es wissen müssen.
„Vielleicht habt Ihr nicht das Recht, so viel von mir zu verlangen“, sagte er. „Schließlich bin ich auch nur ein Mann. Und vielleicht habe ich auch nicht das Recht, von mir selbst so viel zu erwarten. Mich dünkt, meine Seele strebt nach Höhen, die mein Menschsein nicht erreichen kann.“
Er spürte, dass das nicht die kämpferische Antwort war, die Olivia erwartet hatte. Sie schien ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Plötzlich müde geworden, meinte er: „Geht zu Bett, Olivia. Für uns beide ist es heute Nacht zu spät, um noch zu einem vernünftigen Schluss zu kommen. Vielleicht können wir am Morgen diese köstliche Übung der gegenseitigen Beleidigungen fortsetzen. Für jetzt bin ich zu erschöpft dazu.“
Zu seiner großen Überraschung willigte sie ohne Widerspruch ein.
9. KAPITEL
Am nächsten Tag blieb Olivia die meiste Zeit in ihrer kleinen Kammer. Jeden Augenblick erwartete sie, dass Will durch die Tür stürmte und noch mehr Fragen herausschrie. Dass er verlangte, sie solle aufhören, sich wie ein Kind zu benehmen und sich dem stellen, was sie getan hatte. Und dass er ihr befahl, sie solle sich nicht länger wie die rückgratlose Närrin, die sie war, in die Ecke kauern.
Sie konnte ihm nicht gegenübertreten. Er hatte mit seiner Standpauke den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihr Benehmen war schändlich gewesen. Und er hatte wirklich etwas Besseres verdient.
Zugegeben, das war die letzte einer ganzen Reihe von Niederlagen. Sie hatte so viele Kämpfe gekämpft, viel zu viele. Sie war des immerwährenden Kämpfens müde. Monate zuvor war ihr Leben schon zu einer einzigen Katastrophe geworden. Angefangen hatte es mit dem schrecklichen Verlust von Clare und Kenneth. Dann war ihr Antrag auf die Vormundschaft von Stephen abgelehnt worden. Sie hatte Clement herausgefordert, von dem sie wusste, dass er ein brutaler Mann war,
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