Historical Weihnachtsband 1992
sein Verlangen nach Blair Duncan. Er beschloß, sie zu vergessen. Natürlich hatte er sie darum gebeten, sich mit ihr aussprechen zu können, aber es würde ihr bestimmt nicht schwerfallen, über den Wortbruch hinwegzusehen. Es war wohl besser für sie beide, wenn er ihr fern blieb, dem Dorf und den Einheimischen aus dem Wege ging und Blair niemals wiedersah.
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Am späten Vormittag hielt eine Karosse vor dem Portal von Duncan House, und der Earl of Haverbrook stieg aus. Er ging die wenigen Stufen hinauf und ließ den Türklopfer in Form einer Distel gegen die Messingplatte fallen. Er bemerkte, daß stellenweise die Farbe der Tür abgeblättert war, und brummte mißbilligend. Mit einem neuen Anstrich und einigen Verschönerungen mußte das weitläufige Anwesen einer der reizvollsten Jagdsitze für einen glücklichen Engländer sein, der das nötige Kleingeld und die Energie besaß, die bezaubernde Miss Duncan für sich zu gewinnen.
Lord Haverbrook wurde aus den Gedanken gerissen, als die Haustür von einem alten Mann geöffnet wurde. Die finstere Miene, der graue Bart und das wirre Haar ließen den Diener ziemlich grimmig erscheinen. Auf die Frage des Earl, ob Miss Duncan zu sprechen sei, wurde er mit knapper Geste zum Eintreten aufgefordert.
Im Speisezimmer war Miss Duncan damit beschäftigt, Tannenästchen und Stechpalmenzweige in einer antiken Vase zu
ordnen. Auf dem Eßtisch standen große Tabletts mit Teekuchen.
„Guten Tag, Mylord", sagte sie. Trotz der Verblüffung über den unerwarteten Besuch bewahrte sie Haltung. Nicht einmal die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. „Was führt Sie zu mir? Doch nicht etwa das Angebot, mein Land zu kaufen?"
„Großer Gott, nein", protestierte der Earl lachend. Er fand ihre offene Art entzückend. Es würde im höchsten Grade amüsant sein, Cameron zuzuschauen, wie er sich um die Widerspenstige bemühte. „Ich war eben in der Nachbarschaft und habe unserem Freund einen Besuch abgestattet. Der Arme fühlt sich nicht wohl, doch das tut nichts zur Sache . . ."
„O doch!" unterbrach ihn Miss Duncan errötend. Bei der Erwähnung des Mannes, den nie wiederzusehen sie sich geschworen hatte, war ein scharfer Ton in ihrer Stimme mitgeschwungen.
„Wie dem auch sei", fuhr Lord Haverbrook fort, „ich dachte mir, ich könnte die Gelegenheit nutzen und mich nach Ihrem Befinden erkundigen."
Miss Duncan schaute ihn argwöhnisch an. „Dann darf ich wohl fragen, wie es Ihrer Gattin geht?"
„Sie erfreut sich bester Gesundheit", antwortete er und verbiß sich das Lachen über die unmißverständliche Abfuhr. „Außerdem bin ich einem Geheimnis auf der Spur.
Aber ich muß sagen, diese Plätzchen und Kuchen duften köstlich . . ."
„Wollen Sie nicht eines versuchen?" Blair Duncan läutete und bat die Haushälterin, Tee zu bringen, auch wenn es ihr zuwider war, daß die Gastfreundlichkeit sie dazu zwang, Seiner Lordschaft etwas anzubieten, was für die Dorfbewohner bestimmt war. Er und seinesgleichen trugen die Schuld, wenn die Leute in Glenmuir nicht genug zu essen hatten. Gab es denn überhaupt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt? Gestern Lord Lindsay, jetzt der Earl of Haverbrook! Erwartete man von ihr, jeden Engländer zu bewirten, nur weil Weihnachten vor der Tür stand?
Dennoch war Blair eine vollendete Gastgeberin. Sie schnitt ein großes Stück vom Teekuchen ab und goß dem Gast anmutig eine Tasse Tee ein. Über den Rand ihres Täßchens beobachtete sie ihn dann, sobald er Platz genommen hatte. „Sagen Sie mir", fuhr sie fort, jeder Zoll die Tochter des alten Laird und Herrin des Hauses, „was Sie hergeführt hat. Sie erwähnten ein Geheimnis."
„Ich frage mich, warum wir uns noch nie in Gesellschaft begegnet sind. Von Cameron weiß ich, daß Sie uns Engländern ausweichen und jede seiner Einladungen ausgeschlagen haben."
„Was soll daran geheimnisvoll sein, Sir? Ihr Engländer habt in Schottland nichts zu suchen", sagte Miss Duncan und stellte die Tasse so heftig nieder, daß es klirrte.
„Sie können doch nicht annehmen, daß es Ihrer Sache nutzt, wenn Sie uns so abweisend behandeln, oder gar den Leuten, deren Wohl Ihnen so sehr am Herzen liegt?"
„Ich bezweifle, daß Unterhaltungen mit Ihnen oder der Besuch Ihrer Gesellschaften Sie und Ihresgleichen bewegen könnte, den Anspruch auf den Besitz der Connerys aufzugeben", erwiderte Miss Duncan scharf.
„Natürlich nicht, genau, wie Sie niemals Duncan House verkaufen würden. Das
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