Historical Weihnachtsband 1992
heißt freilich nicht, daß man mich nicht überreden könnte, etwas für die Leute der Umgebung zu tun, um ihnen das Leben zu erleichtern. Auch die anderen englischen Großgrundbesitzer würden vielleicht ähnlich reagieren."
„Und wie haben Sie sich das vorgestellt?" fragte Blair Duncan vorsichtig.
„Nun, Madam, wenn ich jemanden wüßte, der mir einen ehrlichen Schotten empfehlen kann, würde ich lieber eine Anzahl Einheimischer als Personal verpflichten, statt jedesmal die Dienstboten mitzubringen. Gleiches kann ich auch von meinen Freunden annehmen. Natürlich könnte man damit das eigentliche Problem nicht aus der Welt schaffen, aber die Menschen hätten mehr zu essen, und mancher könnte im
Lande bleiben, statt auszuwandern. Dann brauchten Sie sich nicht mehr um so viele den Kopf zu zerbrechen."
„Und was sollte ich dazu tun?" fragte Blair wider Willen.
„Sie wissen, daß wir die längste Zeit abwesend sind. Wir können nicht irgendwelchen Leuten die Sorge für unsere Häuser anvertrauen. Wir müßten sicher sein, daß jemand bereit ist, ehrliche Arbeit zu leisten, statt hinterrücks gegen uns zu rebellieren. Sie kennen die Einheimischen gut und können mit einer Empfehlung viel für sie tun. Aber dazu müßten auch die anderen englischen Grundherren mit Ihnen in Verbindung treten, und deshalb ist es nötig, daß Sie sich in Gesellschaft zeigen."
„Ich weiß nicht recht", antwortete Miss Duncan zweifelnd und schüttelte den Kopf.
„Denken Sie ein wenig darüber nach, Madam", riet ihr Lord Haverbrook im verbindlichsten Tön, blickte auf eine kostbare, edelsteinbesetzte Taschenuhr und stand auf. „Morgen abend kommen wir im kleinen Kreis zusammen. Es wäre mir ein Vergnügen, wenn Sie uns die Ehre geben würden."
„Und Lord Lindsay? Wird er auch kommen?" erkundigte sich Blair und überlegte, ob sie die Einladung nicht doch annehmen solle.
„Das bezweifle ich, Miss Duncan. Natürlich habe ich ihn zu uns gebeten, aber seine Verfassung wird es wohl nicht zulassen", log der Earl, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich hoffe, daß Sie das nicht abhalten wird. Meine Gemahlin wäre entzückt, und Sie würden sich gewiß gut unterhalten. Denken Sie nur, welch wunderbares Weihnachtsgeschenk für einige der Dörfler eine Anstellung wäre", sagte er mit der Kraft der Überzeugung. „Willigen Sie ein, daß Sie kommen werden."
„Gut, Mylord, dieses eine Mal", stimmte Miss Duncan zu, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Während sie Lord Haverbrook voll Genugtuung gehen sah, versuchte sie, sich einzureden, daß ihr Entschluß für alle das Beste war. So würde sie wenigstens einigen Ortsbewohnern helfen können, und dem Earl of Lindsay mußte sie auch nicht begegnen.
4. KAPITEL
Blair Duncan hielt pflichtschuldig still, als Mrs. Brown ihr die Falten des Tartan in den Clansfarben der Duncan an der Schulter odnete. Die alte Tracht war schön und zeitlos. So hinreißend sie auch darin aussah, die Haushälterin schien keineswegs glücklich über den Anlaß, der Blair bewog, die Festkleidung der Hochländer zu tragen. Zwar sprach Mrs. Brown die Mißbilligung nicht aus, doch der kritische Blick sprach Bände.
„Sie müssen nicht auf mich warten", sagte Blair, und in ihrer Stimme schwang leichter Trotz mit, „Robbie bringt mich ganz bestimmt sicher nach Haus." Glaubte Mrs. Brown allen Ernstes, sie wolle sich mit den verhaßten Engländern verbrüdern?
Dabei hatte sie ihr doch erklärt, daß der Entschluß, die Einladung anzunehmen, einzig damit zu tun hatte, Arbeitsplätze für Einheimische zu finden. In Anbetracht des Opfers, das sie brachte, wäre seitens der Haushälterin wenigstens ein kleines Zeichen des Mitgefühls am Platze gewesen. Bei diesem Gedanken stieg Blair die Zornesröte in die Wangen.
Mrs. Brown mißdeutete das allerdings als aufgeregte Reaktion eines romantisch veranlagten jungen Mädchens und fühlte sich in dem Argwohn bestärkt, daß irgendwo ein englischer Verehrer im Spiel war. Mürrisch preßte sie die Lippen zusammen. Immerhin stand es ihr nicht zu, sich zu der Angelegenheit zu äußern, wenigstens nicht in klaren Worten. Sie beschränkte sich darauf, hörbar zu seufzen, und verließ den Raum sichtlich entrüstet.
Die Fahrt zum Landsitz Lord Haverbrooks war ziemlich kurz, und Blair hatte das Gefühl, viel zu früh einzutreffen. Sie hatte die widerstreitenden Gefühle noch nicht odnen können und war nicht sicher, ob sie mit ihrer Zusage die richtige Entscheidung getroffen
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