Historical Weihnachtsband 1992
verkaufen. Aber wißt ihr auch, daß sie noch andere Anträge zurückgewiesen hat?"
„Welche denn?" fragte Charlie Ferguson.
„Heiratsanträge! Und welches junge Mädchen in ihrem Alter würde nicht von einem eigenen Heim und schönen Kleidern träumen?"
„So etwas bedeutet nicht viel für sie", entgegnete Ian Ferguson. „Sie hat den Stolz der Duncans und macht sich nichts aus Tand. Trotz ihrer vornehmen Herkunft ist sie eine von uns. Warum sollte sie einen Engländer heiraten?"
„Ian, ich glaube du wirst alt! Kannst du dir nicht vorstellen, was einem hübschen Mädchen wie Blair Duncan bei einem kräftigen Burschen in den Sinn kommt, sei er nun ein Engländer oder nicht?" stichelte Charlie Ferguson und bemerkte belustigt die saure Miene, die sein Vetter zog.
„Miss Duncan ist viel zu klug, um aus Leidenschaft den Kopf zu verlieren. Meinst du etwa, sie hätte am Beispiel von Mary Connery nichts gelernt, die diesen englischen Dieb Montgomery geheiratet hat?" gab Ian scharf zurück und starrte dem Cousin herausfordernd ins Gesicht. „Kaum war die arme Mary unter der Erde, verschwand Montgomery nach England und nahm den Sohn mit.
Und danach haben die Montgomerys nichts mehr von sich hören lassen, bis die Ländereien verkauft wurden. Nein, englisches Blut erhitzt sich nicht, mag die Leidenschaft auch noch so heiß sein."
„Nun hört endlich auf, euch zu zanken! Weihnachten steht vor der Tür! Außerdem schickt es sich nicht, daß Miss Duncan euch so reden hört, um so weniger, da sie früher ein Herz für den Jungen hatte", schalt Mrs. MacNab empört, als seien die Männer neben ihr zwei der eigenen ungeratenen Sprößlinge. Um dem Streit ein Ende zu machen, drehte sie sich um und wandte sich lächelnd Miss Duncan zu, die soeben vor dem Laden ankam.
Blair Duncan erwiderte den Gruß mit einem fröhlichen Winken. Erheitert stellte sie fest, daß Mrs. MacNab, die zweifellos jahrelange Übung darin besaß, starrköpfige Männer von handgreiflichen Auseinandersetzungen abzuhalten, es noch immer nicht verstand, das unauffällig zu tun. Ihr freundliches Lächeln stand in deutlichem Widerspruch zu dem wütenden Blick, den sie den beiden Fergusons zuwarf. Die finsteren Mienen hellten sich jedoch sofort auf, und die Männer zogen vor der Tochter des alten Laird den Hut.
Sie fragte sich, was Ian und Charlie Ferguson so aufgebracht haben mochte. Sie waren zu richtigen Zankhähnen geworden. Freilich war in den vergangenen Jahren das Leben für alle schwerer geworden. Wahrscheinlich konnte nicht einmal mehr die Nähe des Weihnachtsfestes, der Jahreswende und der dazwischen liegenden turbulenten Tage die Probleme ganz verdrängen, mit denen sich die Bewohner von Glenmuir herumschlagen mußten. In dem einmal gefaßten Entschluß bestärkt, betrat Blair Duncan den Laden und ließ aufmerksam den Blick über die gefüllten Regale gleiten.
MacGregor war einer der wenigen Männer im Dorf, der mit der Anwesenheit des englischen Adels zufrieden sein konnte. Für ihn waren die Geschäfte mit den Aristokraten zu einer
guten Einnahmequelle geworden. Wenn er aus dem Schaden anderer Nutzen zu ziehen verstand, konnte er es sich auch leisten, tätige Nächstenliebe zu üben.
Wenigstens war Blair Duncan dieser Meinung.
Innerlich wappnete sie sich zum Kampf mit dem Kaufmann. Mochte sie auch verarmt sein, es änderte nichts daran, daß sie eine Duncan war. Es galt, alte Traditionen aufrechtzuhalten. Obwohl sie kaum mehr besaß als die Dorfbewohner, war sie fest entschlossen, Weihnachtskörbe zu verteilen, wie die Duncans es immer getan hatten. Freilich wurde es von Jahr zu Jahr schwieriger. Natürlich steuerte sie selbst bei, was sie konnte, doch das war nicht eben viel, da die eigenen Vorräte mehr als mager waren. MacGregor hingegen konnte es nicht weh tun, wenn er sich von einigen Waren trennte. Außerdem würde das Weihnachtsfest für viele Leute in Glenmuir wesentlich trauriger ausfallen, wenn sie den Ladenbesitzer nicht dazu brachte, so zu denken wie sie.
Gewiß, jener geheimnisvolle Wohltäter, den man Engel der Weihnacht nannte, hatte sich in den letzten Jahren sehr großzügig gezeigt, was Glenmuir betraf. Auch Blair Duncan war von ihm reich bedacht worden. Andererseits hatte sie gelernt, sich nicht auf Unbekannte zu verlassen. Was war, wenn er in diesem Jahr nicht kam? Es war besser, den Stolz zu überwinden und MacGregor zu überzeugen, für die Weihnachtskörbe zu spenden. Dann konnte Blair wenigstens sicher sein, ein
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