Historical Weihnachtsband Band 4
Unterlippe. Allerdings war es auch nicht leicht, damit umzugehen. Um ihrem Schützling dabei zu helfen, die wahre Liebe zu finden, mussten jene Leidenschaften unbedingt mit höheren Tugenden verknüpft werden. Wie konnte sie Claire in ihrer plötzlich entfesselten Leidenschaft dazu bringen, sich für diesen armen Ralph zu entscheiden? Periwinkle selbst war ja noch ganz und gar nicht überzeugt davon, dass dieses jämmerliche Geschöpf wirklich der Richtige sein sollte.
4. KAPITEL
Am nächsten Morgen stand Claire sehr viel später als gewöhnlich auf und trödelte ein wenig bei ihrer Toilette. Ihre lebhaften, schockierenden Träume hatten sie ziemlich erschüttert. Noch jetzt war ihr ganz heiß bei der Erinnerung daran.
Entschlossen wandte sie sich anderen Angelegenheiten zu. Weihnachten hin, Weihnachten her, sie wollte den Mayhews endlich ihre Pläne mitteilen. Sie legte sich sogar eine Strategie zurecht, die vorsah, dass sie zuerst ihr Vorhaben Cousin Halbert gegenüber erwähnen würde. Danach würde sie sich in der Familiehierarchie bis zu Tante Hortense hinaufarbeiten, bis sie alle in Kenntnis gesetzt hatte. Kaum hatte sie jedoch das Frühstückszimmer betreten, wurde sie durch den Anblick von Cousin Ralph abgelenkt, der am Tisch saß und sich mit unbändigem Appetit über einen Teller mit Schinken und Ei hermachte.
Warum lag er nicht ihm Bett, sondern saß hier am Frühstückstisch und aß dazu noch normale Speisen? Tante Hortense verlangte immer mindestens eine Woche strenge Diätkost von ihren Patienten, bevor sie ihnen erlaubte, sich wieder an den Tisch zu setzen. Claire hielt einen Moment inne, um ihre aufgewühlten Gefühle in den Griff zu bekommen.
Offensichtlich hatte er gebadet, sich rasiert und obendrein saubere Kleidung aufgetrieben, die ihm sogar passte. Ohne die Wärmflasche auf dem Kopf sah er sogar richtiggehend gut aus. Seine Augen waren braun, gesäumt von dichten Wimpern, der Körper war kräftig, aber schlank, das Gesicht markant und das dichte, dunkle Haar ließ sich offenbar ohne die Hilfe irgendeines Haaröls bändigen. In diesem Moment glänzten seine schön geschwungenen Lippen von dem Buttergebäck, das er gerade aß. Claire ertappte sich dabei, dass sie den Blick nicht von seinem Mund nehmen konnte, und fuhr sich unwillkürlich mit der Zunge über die Lippen. Ein Mann durfte gern langweilig und einschläfernd sein, wenn er dabei jeden Morgen am Frühstückstisch so aussah.
Urplötzlich musste Claire niesen – verflixter Staub – und suchte in ihrer Tasche nach ihrem Taschentuch. Alle sahen auf, und Tante Hortense sprang auf und lief herbei, um Claire zum Tisch zu dirigieren.
„Und hier ist unsere liebe Claire. Sieh nur, wer darauf bestanden hat, sich beim Frühstück zu uns zu gesellen, Claire. Kannst du so viel Glück fassen? Die Männer, die den lieben Ralph gerettet haben, brachten heute ganz früh seinen Schrankkoffer und die Reisetaschen her!“
„Ein wahres Wunder“, meinte Claire in einer Mischung aus Spott und Erstaunen.
„Hortenses Brustwickel ist ein Wunder“, warf Tante Eloise ein. „Deswegen geht es Cousin Ralph so gut. Ich rate ihr immer, sie soll ihn patentieren lassen und verkaufen.
Er brennt das Gift regelrecht aus einem heraus.“
„Er verbrennt einen zu Asche, wäre passender“, meinte Ralph leise und legte unwillkürlich die Hand auf die Brust.
„Haben deine Ohren geklingelt, meine Liebe?“ Tante Hortense kicherte, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, und drängte Claire dazu, sich auf den Stuhl Ralph gegenüber zu setzen.
„Wir sprachen von dir.“ Onkel Abner lachte ebenfalls.
„Wir erzählten Cousin Ralph, dass du die Nase ständig in ein Buch steckst“, fügte Tante Eloise hinzu. „Und wie bemerkenswert es ist, dass das viele Lesen deine Sehkraft kein bisschen beeinträchtigt hat.“
„Und dass du Abner bei der Abrechnung in der Fabrik hilfst“, meinte Tante Hortense stolz. An Ralph gewandt fügte sie hinzu: „Sie ist eine wahre Rechenmaschine.“
„Und dass du den Frühjahrsputz liebst und sagst, du ziehest den Duft nach Bienenwachs und Terpentin jedem muffigen französischen Parfüm vor“, behauptete Tillie eifrig.
Claire schloss kurz die Augen. Die Mayhews, die Guten, mussten die weltfremdesten Menschen auf Gottes Erde sein. Indem sie auf ihre Weise ihr Loblied sangen, zeichneten sie das Bild einer Frau, die in etwa so anziehend war wie ein Eimer nasser Wäsche. Und so taten sie genau das, was sie selbst eigentlich auch
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