Hitlers Berlin
Pei kongenial umgebauten Schlüterhof des barocken Zeughauses ausgerichtet wurde, einer der schönsten Örtlichkeiten in Berlin, titelte die Bild-Zeitung: »Queen-Dinner heute in Hitlers Heldensaal« Und weiter: »Dinner für die Königin, wo Hitler seine Nazis feierte! Wird der Queen hier der Appetit vergehen?« Der Leser erfuhr aus dem Artikel, dass der Bau Unter den Linden 2 im Dritten Reich am so genannten Heldengedenktag eine wichtige Rolle spielte. Mehrfach, wenn auch nicht jedes Jahr, versammelte Hitler hier zwischen 1934 und 1943 sein Publikum und eröffnete in den Kriegsjahren Ausstellungen von erbeuteten Waffen. Dagegen erfuhr man nicht, dass das Zeughaus in der Luftschlacht um Berlin 1943 in Trümmer sank, in den frühen Jahren der DDR wieder errichtet wurde, dass es nach der deutschen Wiedervereinigung komplett saniert wurde und dass hier im Frühjahr 2006 die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums über die zwei Jahrtausende deutscher Geschichte eröffnet werden soll. Ein knappes Sechstel der 8 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche wird den 12 Jahren der nationalsozialistischen Diktatur gewidmet sein. Angesichts all dessen erscheint die Antwort der britischen Botschaft auf die von Warnungen von Bild salomonisch: »In der Vergangenheit lässt sich immer etwas finden. Wir schauen bei diesem Besuch lieber in die Zukunft, nicht zurück.« 2
Vergangenheit vergeht nicht; im Gegenteil: Je mehr man sich das wünscht, desto weniger verblasst sie. Es ist menschlich, sich die eigene Geschichte schönreden zu wollen, doch hat das auf Dauer keinen Bestand. Hitler habe keine Beziehung zu seiner Hauptstadt gehabt, heißt es in vielen, auch in guten Büchern über den Nationalsozialismus; Ähnliches gelte auch für das Verhältnis der Mehrheit der Berliner zu ihrem »Führer«. In Wirklichkeit war dem NSDAP-Chef immer klar, dass der Weg zur Macht in Deutschland ausschließlich über Berlin führte. So richtig es ist, dass kein Staatschef der neueren Geschichte seltener an seinem Regierungssitz war, so bleibt doch festzuhalten: Zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 30. April 1945 hielt sich Adolf Hitler an ungefähr jedem dritten Tag, nämlich an 1481 Tagen, in der Reichshauptstadt auf und damit öfter als auf seiner Privatresidenz Berghof auf dem Obersalzberg (insgesamt 1088 Tage), als in seinem wichtigsten Hauptquartier Wolfsschanze oder in München. Kein Mitglied der NS-Führung stammte aus der Reichshauptstadt, ist immer wieder zu lesen – einerseits gemessen an der Herkunft richtig, andererseits eine grobe Verzeichnung. Denn mit Albert Speer und vor allem Joseph Goebbels hatten gleich zwei Mitglieder des engsten Kreises die Basis ihres Einflusses in der Reichshauptstadt; als Stadtplaner der eine, als Gauleiter der andere.
Eine aufmerksame Lektüre von Hitlers Äußerungen relativiert auch die bekannten, gern als Belege für seine Ablehnung Berlins zitierten Urteile: Sehr oft finden sich geradezu entgegengesetzte Aussagen in direkter zeitlicher Nähe. Ebenso erweist sich die Vorstellung, in der Reichshauptstadt habe der Widerstand gegen die braune Diktatur vorgeherrscht, als nicht tragfähig. Im Gegenteil gingen immer wieder Millionen Berliner auf die Straßen, um ihren »Führer und Reichskanzler« begeistert zu feiern. Und selbst als die totale Niederlage und Zerstörung unmittelbar bevorstand, gab es hier keinen späten Aufstandsversuch kurz vor dem Einmarsch der Alliierten wie etwa ausgerechnet in der »Hauptstadt der Bewegung« München mit der »Freiheitsaktion Bayern«. Die Oppositionsbewegung um Claus von Stauffenberg dagegen lässt sich ebenso wenig als Berliner Widerstandsgruppe bezeichnen wie der Kreisauer Kreis. Im Lichte all dessen erscheint die Beziehung zwischen Hitler und Berlin als eine beidseitige Hassliebe: Der NSDAP-Chef brauchte bei allen ideologischen Vorbehalten die Hauptstadt und wollte auch nicht von ihr lassen. Aber zugleich waren viele Berliner, die sich nicht leicht hatten erobern lassen, schon bald und bis mindestens 1941 begeistert von ihrer neuen Bedeutung in der und für die Welt. Es ist verfälschend, in den zwölf Jahren des Nationalsozialismus in Deutschland vor allem »eine Unterbrechung seiner echteren Geschichte« zu sehen, deren »tieferen Triebkräften es in diesen Jahren durch Zwang entfremdet wurde«, wie das Hans Herzfeld tut. »Die Mehrheit der Deutschen empfand das Ende des Dritten Reiches zunächst keineswegs als Befreiung, sondern durchaus als Niederlage«,
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