Hitlers Berlin
verschiedenen Stadtteilen immer unzuverlässiger und widersprechender wurden, gingen wir dazu über, uns aus erster Hand ein Bild von der Lage zu verschaffen. Das noch einigermaßen intakte Telefonnetz der Stadt Berlin wurde für diesen Zweck eingesetzt. Wir riefen einfach die Nummern von Bekannten in den umkämpften Straßen und Stadtteilen an, oder wählten aufs Gratewohl aus dem Telefonbuch geeignete Adressen und Nummern. Diese für die oberste deutsche Heerführung reichlich primitive Form der Rekognoszierung zeitigte auch tatsächlich den gewünschten Erfolg. ›Sagen Sie, gnädige Frau, waren die Russen schon bei Ihnen?‹ ›Ja‹, kam dann, öfter als uns lieb war, die verschüchterte Antwort, ›vor einer halben Stunde waren zwei hier.‹« 9 Die letzte wichtige Nachricht, die den Führerbunker aus dem Ausland erreichte, war am 28. April die Mitteilung von Mussolinis Tod: Italienische Partisanen hatten den Faschistenführer bei Como gefangen genommen, erschossen und in Mailand kopfüber aufgehängt. Hitler reagierte darauf mit der Ankündigung des eigenen Selbstmords: »Ich will dem Feind weder tot noch lebendig in die Hand fallen. Nach meinem Ende soll mein Körper verbrannt werden und so für immer unentdeckt bleiben.« Am selben Abend begannen die letzten Verrichtungen im Bunker; Hitler diktierte einer der beiden verbliebenen Sekretärinnen ein politisches und ein privates Testament. Traudl Junge beschrieb später ihre Gedanken in diesem Moment: »Jetzt kommt endlich das, worauf wir seit Tagen warten: Die Erklärung für das, was geschah, ein Bekenntnis, ein Schuldbekenntnis sogar, vielleicht eine Rechtfertigung. In diesem letzten Dokument des tausendjährigen Reiches müßte die Wahrheit stehen, bekannt von einem Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat. Aber meine Erwartung wird enttäuscht. Teilnahmslos, fast mechanisch spricht der Führer Erklärungen, Anklagen und Forderungen aus, die ich, die das deutsche Volk und die ganze Welt kennen.« Und Hitler heiratete Eva Braun. In seinem privaten Testament heißt es: »Da ich in den Jahren des Kampfes glaubte, es nicht verantworten zu können, eine Ehe zu gründen, habe ich mich nunmehr vor Beendigung dieser irdischen Laufbahn entschlossen, jenes Mädchen zur Frau zu nehmen, das nach langen Jahren treuer Freundschaft aus freiem Willen in die schon fast belagerte Stadt hereinkam, um ihr Schicksal mit dem meinen zu teilen. Sie geht auf ihren Wunsch als meine Gattin mit mir in den Tod.« Die Zeremonie wurde formlos von einem eilig in den Hauptbunker bestellten Standesbeamten vollzogen; Goebbels und Bormann waren die Trauzeugen, und gegen 1.30 Uhr am Morgen des 29. April 1945 gratulierte die engste Umgebung dem Ehepaar. Das Herrschaftsgebiet Hitlers reichte um diese Zeit noch von der Siegesallee im Westen über den Königsplatz (heute Platz der Republik) und den Bahnhof Friedrichstraße bis zum Schlossplatz im Osten. Von dort aus verlief die letzte auf einer Lagekarte, einem gewöhnlichen Stadtplan, eingetragene Frontlinie über den Hausvogteiplatz und den Gendarmenmarkt zum U-Bahnhof Friedrichstadt (heute Stadtmitte) und am Südrand der Leipziger Straße entlang über den Potsdamer Platz und die Bellevuestraße zur Siegesallee. Außerdem gab es noch einige Widerstandsnester in der Stadt, zum Beispiel die beiden Flaktürme im Zoo und im Humboldthain, den Bendlerblock am Landwehrkanal und die Havelbrücken zwischen Charlottenburg und Spandau. Gegen 23 Uhr am 29. April schickte Hitler einen letzten Funkspruch an die Wehrmachtsführung im Hauptquartier südlich von Berlin. Noch ein letztes Mal erkundigte er sich, wann Entsatztruppen kämen. Etwa vier Stunden später antwortete Keitel, dass mit einer Besserung nicht zu rechnen sei. Inzwischen standen die ersten sowjetischen Truppen rund hundert Meter südlich der Reichskanzlei. 10
Statt jedoch zum Sturm auf die Regierungszentrale anzutreten, hielten sie ihre Stellung. Stattdessen begannen mehrere Eliteregimenter den Angriff auf das Reichstagsgebäude. Ausgerechnet das Parlamentsgebäude, das bereits 1933 ausgebrannt war und das seither kaum eine Rolle gespielt hatte, das laut Hitlers Willen bei Speers Stadtumbau zwar erhalten bleiben, aber wortwörtlich im Schatten der Großen Halle stehen sollte, hatte das sowjetische Oberkommando zum Symbol der Eroberung Berlins erhoben. Ein Grund war gewiss, dass die Nachrichtenoffiziere nicht zu unterscheiden wussten zwischen der Institution Reichstag, die ab 1933 nur noch
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