Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
geradewegs in den japanisch anmutenden Pool überging.
Irina stutzte, als sie in einem der bodentiefen Fenster an der Vorderseite des Gebäudes eine Bewegung wahrnahm. Eine Reflexion vielleicht. Sie kniff die Augen zusammen, konnte jedoch nicht viel mehr erkennen als ein paar gezackte Baumschatten und den entfernten Widerschein des türkisblauen Poolwassers. Trotzdem fühlte sie sich irgendwie alarmiert. Sie dachte an den mysteriösen Serienvergewaltiger, dessen Taten seit Wochen die lokalen Medien beherrschten. Der »Artist«, wie die Reporter den unbekannten Täter seiner Geschicklichkeit beim Erklettern von Fassaden wegen nannten, hatte seit Mitte Juli fünf Frauen überfallen, und sein letztes Opfer, eine dreiundvierzigjährige Polin, lag angeblich noch immer im Koma. Irina machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. Sie fürchtete sich selten, doch jetzt hatte sie mit einem Mal das Gefühl, dass es nicht besonders klug war, noch länger allein hier auf der Terrasse herumzustehen. Ihr Blick suchte das Nachbarhaus, das sich – halb verdeckt von einer riesigen alten Weide – jenseits einer begrünten Mauer erhob. Sie konnte kein Licht entdecken, was nicht wirklich etwas bedeuten mochte, denn auf dieser Seite des Gebäudes befanden sich nur das Treppenhaus und die Fenster zweier Gästetoiletten. Trotzdem war der Anblick der düsteren Fassade alles andere als beruhigend.
Sie wandte sich mit einem Ruck ab und kehrte ins Haus zurück. Nachdem sie die Terrassentür hinter sich zugezogen hatte, schaltete sie die Alarmanlage wieder ein, die sie ein paar Stunden zuvor deaktiviert hatte. Der Code war vierstellig: 3561, Tag, Monat und Geburtsjahr ihres Mannes. Die Anlage sicherte den Keller sowie die gesamte untere Etage. Sie war direkt mit dem Büro eines örtlichen Sicherheitsdienstes verbunden, das rund um die Uhr besetzt war, und schaltete sich automatisch aus, wenn der passende Schlüssel ins Hauptschloss gesteckt wurde. So konnte Jan problemlos herein, wenn er in ein paar Stunden nach Hause kam.
Irinas Augen lösten sich von dem grün leuchtenden Display. Einmal hatte sie den Alarm aus Versehen ausgelöst. Ganz zu Anfang war das gewesen, als ihr die Umstellung von den schäbigen Zweiraum-Apartments, in denen sie ihr bisheriges Leben verbracht hatte, auf die Dimensionen einer Dreizehn-Zimmer-Designer-Villa noch schwergefallen war. Es hatte exakt viereinhalb Minuten gedauert, bis zwei bis an die Zähne bewaffnete Wachleute und eine Polizeistreife vor der Tür gestanden hatten, und Irina hatte fest damit gerechnet, dass ihr Mann über ihr Missgeschick zutiefst erbost sein und ihr eine Riesenszene machen würde. Doch Jan hatte nur gelacht und gesagt, er sei froh, auf diese Weise zu erfahren, dass der beauftragte Sicherheitsdienst tatsächlich so gewissenhaft arbeite, wie er behaupte.
Irina nahm sich ein Glas Wasser aus der Karaffe auf dem Buffet und dachte, dass er es immer wieder schaffte, sie genau dann positiv zu überraschen, wenn sie am wenigsten damit rechnete. Aber das war – wie sie aus leidvoller Erfahrung wusste – viel eher ein Ausdruck von Jans Unberechenbarkeit als echte Freundlichkeit. Und oft genug äußerte sich sein sprunghaftes Wesen in umgekehrter Weise. Dann geriet er über irgendeine Kleinigkeit derart in Wut, dass man es wirklich mit der Angst bekommen konnte. Zwar wurde Jan nur selten gewalttätig, aber das brauchte er eigentlich auch gar nicht. Selbst im Job wurde er so gut wie nie laut. Stattdessen hatte er diese ganz spezielle Art, einen anzusehen, die einem augenblicklich das Gefühl gab, ein absolutes Nichts zu sein. Irina nickte leise vor sich hin. Bei Jan genügte tatsächlich ein einziger Blick, und die Leute spurten.
Dabei hatte er eigentlich sehr schöne Augen …
Sie zog die Schultern hoch, und erst mit ein paar Sekunden Verzögerung wurde ihr klar, dass sie wirklich und wahrhaftig fröstelte.
In einer drückend schwülen Nacht wie dieser …
3
Ihre Umgebung verschwamm zu einem indifferenten Mischmasch aus Stimmen und Farben, aus dem hin und wieder einzelne Worte an ihr Ohr drangen. Worte, die sie zwar irgendwie in sich aufnahm, die jedoch zum Großteil nicht bis in ihr Bewusstsein vordrangen. Im Fernsehen lief irgendeine Talkshow. Eine Jungschauspielerin, die zu viel lachte, und ein Politiker mit pointierter Ironie. Eigentlich die perfekte Kulisse für einen erholsamen Schlaf. Doch irgendetwas stimmte nicht!
Ricarda Benson richtete sich auf und rieb sich
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