Frisch verlobt
1. KAPITEL
N icole Keyes war schon immer davon überzeugt, dass man die Zitronen, die das Leben einem mitunter reicht, am besten in einer Schale auf die Ladentheke stellt, um sich dann ein Teilchen zu gönnen und bei einer Tasse Kaffee darauf zu warten, dass es wieder aufwärts geht. Was wiederum erklärte, weshalb die Stempelkarten nun klebrig waren und sie selbst einen ausgewachsenen Koffeinflash hatte.
Sie schielte zur Ladenvitrine, in der eine Kirschkäsetasche wieder und wieder leise ihren Namen rief, sah dann aber schnell auf ihren Stützverband am Knie und den Stock an ihrer Seite. Noch immer hatte sie sich nicht ganz von ihrer letzten Operation erholt, und das bedeutete eben auch wenig bis gar keine physische Aktivität. Wenn sie also nicht riskieren wollte, dass ihre Jeans noch enger wurden, sollte sie wohl auf dieses zweite Stück Plundergebäck verzichten.
„Immer noch besser, sich von Kuchen verführen zu lassen als von einem Mann“, sagte sie sich. Gebäck konnte eine Frau nur dick machen, ein Mann aber war in der Lage, ihr das Herz aus der Brust zu reißen und sie dann blutend und verletzt liegen zu lassen. Und wenn auch das Mittel gegen Ersteres nicht gerade angenehm war – mit Diät und Sport konnte sie leben. Die Mittel gegen Letzteres waren bestenfalls zweifelhaft: Distanz, Ablenkung, fantastischer Sex. Nichts davon gab es in ihrem Leben momentan.
Die Tür zur Bäckerei wurde geöffnet, begleitet vom Klang der oberhalb angebrachten Türglocke. Nicole sah allerdings kaum auf, als ein Highschool-Schüler auf den Tresen zuging und fünf Dutzend Doughnuts bestellte. Sie leckte sich die Finger ab, wischte mit einer Papierserviette nach und fing an, die Stempelkarten abzuzeichnen, damit sie noch an diesem Nachmittag zum Buchhalter gebracht werden konnten.
Maggie, die hinter der Vitrine bediente, stellte drei große Schachteln auf die Theke und begann, die Bestellung in die Kasse einzugeben. In diesem Augenblick klingelte das Telefon, und sie wandte sich ab, um das Gespräch anzunehmen.
Nicole hätte nicht sagen können, was genau sie veranlasste, gerade in diesem Moment hochzusehen. Ein sechster Sinn? Glück? Oder wurde ihre Aufmerksamkeit durch das unruhige Herumzappeln des Teenagers geweckt?
Jedenfalls sah sie, wie der Junge sein Handy vorne in die Tasche seiner Shorts schob, sich die Schachteln mit den Doughnuts schnappte und zurück zur Tür marschierte. Und das, ohne zu zahlen!
Nicole hatte ja akzeptiert, dass sie von Natur aus eher grummelig war. Selten sah sie die positiven Seiten der Dinge und war dafür bekannt, dass sie von Zeit zu Zeit überreagierte. Aber nichts, absolut gar nichts brachte sie mehr in Rage, als wenn jemand versuchte, sie für dumm zu verkaufen. In letzter Zeit war dies in ihrem Leben häufiger vorgekommen, und unter keinen Umständen würde sie zulassen, dass dieser Junge sich da einreihte.
Ohne ihr Vorgehen wirklich zu planen, hielt sie ihm den Stock in den Weg, sodass er darüber stolperte und hinfiel, dann stemmte sie ihm den Stock mitten in den Rücken.
„Na, das war wohl nichts“, erklärte sie ihm. „Maggie, ruf die Polizei.“
Fast rechnete sie schon damit, dass der Junge aufspringen und weglaufen würde. Sie hätte ihn nicht davon abhalten können, aber er rührte sich nicht. Zehn Minuten später ging die Tür erneut auf, aber anstatt eines Vertreters des Polizeikorps von Seattle sah sie jemanden hereinspazieren, der ohne Weiteres als Unterwäschemodel und/oder Action Hero durchgehen konnte.
Der Kerl war groß, sonnengebräunt und nahm sein Fitnesstraining ernst. Letzteres war nicht zu übersehen, da er nichts weiter als rote Shorts und ein graues T-Shirt der Pacific Highschool trug, das just über dem Hosenbund endete. Wenn er sich bewegte, regten und wölbten sich Muskeln, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie im menschlichen Körper existieren.
Eine spiegelnde Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Er starrte auf den Jungen, den sie weiterhin mit ihrer Krücke festhielt, sowie auf die Doughnuts, die über den Boden verstreut lagen, riss sich die Sonnenbrille ab und lächelte sie an.
Dieses Lächeln kannte sie.
Oh, nicht speziell von ihm. Es war das Lächeln, das Pierce Brosnan in seiner Rolle als James Bond einsetzte, wenn es darum ging, leicht atemlosen Sekretärinnen Informationen zu entlocken. Dasselbe Lächeln hatte ihr Exmann mehr als einmal benutzt, um sich aus der Affäre zu ziehen. Nicole hätte dagegen immuner nicht sein
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